Sünden der Faulheit, Die
Bundespräsident einen Empfang für Konsularbeamte; in der Eissporthalle kämpfte »Preußen« um den Aufstieg in die Bundesliga; hinter dem Kottbusser Tor trieb eine Leiche im Landwehrkanal, und ein Amerikaner, der in einem der Häuser dort bei seinem Freund wohnte, beobachtete vom Balkon, wie die Polizisten den Körper mit Seilen aus dem Wasser zogen und in eine Zinkwanne betteten, und er wunderte sich, wie vorsichtig sie waren, als könnten sie auf ihre Weise dem Toten jene Ehre erweisen, die man ihm in seinem Leben verweigert hatte; so viele Gesichter, so viel Glück. Die Sterne glänzten über der Welt, und es gab keinen Grund, melancholisch zu sein.
»Hassu wat im Mittwochslotto jewonnen?«
»Ick spiele keen Lotto«, sagte Assidertürke barsch.
»Aber icke!«
Eddie wollte sich seine gute Laune nicht verderben lassen. Seit gestern abend ging es Assi schlecht, und das wegen einer Nutte. Anfangs hatte Eddie gespottet, bis es beinahe zu einer Schlägerei zwischen ihnen gekommen war, den Rest der Nacht hatten sie sich angeschwiegen.
Eddie hatte Mitleid mit Assi, aber nun wußte er auch nicht weiter. Warum mußte sich der Idiot ausgerechnet in Ilona verlieben? Wenn ihr Lude davon erfuhr, wie sollte er Assi dann beschützen?
»Soll’n wir in’t Kino jehn?«
»Ick war seit zehn Jahren nich mehr in’t Kino.«
»Dann wird’s ja mal wieder Zeit«, sagte Eddie und fuhr den Tauentzien hoch. Von den Leuchttafeln schienen in großen Lettern die Titel der Filme.
»Wie wär’s denn mit ›Halloween‹?«
»Iss’n dit?« fragte Assi, und Eddie sah ihn erstaunt an, denn er hatte mit keiner Reaktion gerechnet.
»’ne Art Horrorfilm.«
»Meinswejen«, brummte Assidertürke. Wenig später saßen sie im Marmorhaus in der 6 . Reihe und warteten auf den Beginn des Hauptprogramms. Bei einer älteren Frau, die mit ihrem Bauchladen die Reihen abschritt, kaufte Eddie zwei Eiskonfekt und legte, weil Assi mürrisch den Kopf schüttelte, eines der Päckchen in seinen Schoß.
»Is jut! Iß et, det schmilzt sonst.«
Der Film handelte davon, daß ein Verrückter, der als Kind seine Schwester erstochen hatte, aus dem Irrenhaus ausbricht, in die Kleinstadt zurückkehrt und am Erntedank-Abend mit einem Schlachtermesser ein Massaker anrichtet, bis ihm die letzte Überlebende eine Stricknadel ins Auge stößt.
Je länger der Film dauerte, desto weiter sank Assis Kiefer nach unten, und als gegen Ende einige Mädchen vor Entsetzen aufschrien, drehte er sich um:
»Schnauze, man!«
Während sie im Pulk der Zuschauer hinausdrängelten, knuffte Assidertürke Eddie in den Rücken und sagte:
»Det war jut, wa?«
Noch im Auto hatte er sich nicht ganz beruhigt.
»Nach’m ersten Mord hätte man den schon umlegen soll’n.« Eddies Einwand: »Da war er ja noch ein Kind«, wischte er mit einer heftigen Gebärde beiseite.
»Aba total durchjeknallt!«
»Jehn wir wat trinken?«
»Wat ham wer denn so vor?«
»Ick wollt noch mal bei Kutti vorbeischaun.«
»Trinken wir doch da wat.«
»In Ordnung«, sagte Eddie und gab Gas.
Am Nachmittag hatte Franz Belasc Rindfleisch in Öl, Zwiebeln und Knoblauch mariniert. Seit er Steenbergens Sekretär war, entdeckte er bei sich Fähigkeiten, über die er früher gelacht hätte.
Sie saßen an einem runden Tisch in der großzügig geschnittenen Diele, und Steenbergen stocherte schlecht gelaunt in einer Schüssel Feldsalat, neben sich einen Stapel zerlesener Tageszeitungen.
»Des is’ jetzt schon des Geschwätz von gestern«, sagte Belasc, dem sein Essen prächtig schmeckte.
»Jedenfalls bin ich nur einmal namentlich erwähnt«, sagte Steenbergen.
»Und nirgendwo steht auch nur eine Zeile, wie des Bild in deinen Besitz gekommen ist. Wie auch? Interessiert doch keinen Menschen. Die Hauptsache für die Presseaffen ist doch, des es was wert ist. Ein Einbruch in eine Tabaktrafik kriegt keine Schlagzeile. Und morgen ist was ganz anderes akut.«
»Was war das, Franz? Ein Vortrag über das Wesen der freien Presse?« fragte Steenbergen spitz.
»Probier’ doch mal das Fleisch!« forderte ihn Belasc auf, der seine Portion fast aufgegessen hatte. »Soll ich dir’s wärmen?«
Steenbergen wischte mit einer Armbewegung die Zeitungen vom Tisch und kostete.
»Du bist ein wahrer Trost, Franz. Ausgezeichnet!«
Er aß schweigend.
»Was is’ mit Florence?«
Kaum hatte er die letzte Silbe ausgesprochen, wußte Belasc, daß es die falsche Frage zur falschen Zeit gewesen war. Steenbergen winkte
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