Sünden der Faulheit, Die
Stimme hinter sich hörte. Ohne sich umzudrehen, verließ er das Funkhaus. Er würde nicht zu Leschek gehen und auch keine Sendung mehr vorbereiten. Unzusammenhängende Gedanken schwirrten durch seinen Kopf, in seiner Faust hielt er den zerdrückten Geldschein. Wie ein Schlafwandler lief Lacan durch die Dämmerung zu seinem Wagen.
Eine Leiche war immer noch nicht aufgetaucht. Wahrscheinlich war ein Dieb die Leiter heruntergefallen, und sein Komplice hatte ihn benommen zum Auto gezerrt, und das war alles. Kommissar Westhov lehnte an einem Aktenschrank und wußte nicht weiter. Er hatte den ganzen Tag nachgedacht, welche Spuren er verfolgen sollte, und war zu dem Ergebnis gekommen, daß es keine brauchbaren Spuren gab. Der Diebstahl des Bildes war ein Fall, den man aussitzen mußte, und Westhov hatte schon mehr als einmal erlebt, wie auch ausgesessene Fälle ihre Lösung fanden. Es gab ja noch nicht mal Zeugen. Ein Zigarettenrest glimmte im Aschenbecher. Westhov befeuchtete seinen Zeigefinger und tippte auf die Glut. Es war schwierig, eine Leiche loszuwerden. Fand man sie in einem verwertbaren Zustand, noch nicht zu lange verwest, hatte man bald auch den Täter. Man mußte Geduld haben.
Er wollte seine Arbeit für heute mit einer guten Tat abschließen und wählte die Nummer von Maier-Brüninghaus.
»Ah, Kommissar Westhov, womit kann ich dienen?«
»Die Diebe haben sich nicht zufällig bei Ihnen gemeldet?«
»Schön wär’s«, sagte der Versicherungsmann, »aber ich kann Ihnen keine Freude machen.«
»Auch kein Brief oder so was?«
»Nichts! Wie weit sind Sie denn? Gibt’s was Neues?«
»Eigentlich nicht«, sagte Westhov und ärgerte sich schon, daß er Maier-Brüninghaus angerufen hatte.
»Das ist alles so unerfreulich.«
»Das können Sie laut sagen«, grunzte Westhov und setzte sich auf seinen Schreibtisch.
»Ich würde sagen, wir bleiben in Kontakt«, sagte Maier-Brüninghaus, und Westhov dachte: So, würdest du sagen, und sagte:
»Melden Sie sich, wenn sich bei Ihnen etwas ergibt«, obwohl er wußte, daß die Versicherung nicht zu ihm kommen würde, wenn sich die Möglichkeit ergab, das Bild zurückzukaufen.
Westhov sah in den engen Hof des Polizeipräsidiums. Die Maurer auf dem Gerüst gegenüber packten ihre Sachen zusammen. Schemenhaft bewegten sie sich in dem Gestänge, durch das das Licht der Bürofenster fiel. Irgendwo heulte eine Sirene.
Lacan quälte sich durch den Berufsverkehr nach Hause. Die gelben und roten Lichter der Wagen tanzten gestochen scharf durch die frühe Dunkelheit. Eine Zigarette hing in seinem Mund, und der Rauch brannte in den Augen. Irene war die erste Frau, die zu ihm »Ich liebe dich« gesagt hatte, und er wußte nicht, was er damit anfangen sollte. Lacan drückte die Kassette aus dem Recorder und schaltete das Radio ein. Die eintönige Stimme des Sprechers betete die Litanei der Meldungen: … in der Spendenaffäre … der Untersuchungsausschuß … schwere Kämpfe … im Hauptquartier der Schiitenmilizen … das meteorologische Institut Dahlem gibt bekannt …
Harry Schulz verstand die Welt schon lange nicht mehr. Als der Sprecher Nachtfrost ankündigte, zog er den Stecker heraus, und das Radio in der Schrankwand verstummte quäkend.
Noch zwölf Stunden bis Dienstbeginn. Die Flasche im Wasserkasten der Toilette war leer. In der letzten Nacht hatte er einen vergeblichen Kampf mit sich ausgetragen. Elend hatte er in seinem Bademantel auf der Brille gehockt und versucht, Ordnung in sein Leben zu bringen. Als er betrunken war, schlich er ins Schlafzimmer zurück, wo schwer atmend seine Frau lag. Der Wunsch, ihr ein Kissen auf das Gesicht zu pressen, war unwiderstehlich geworden, und schließlich hatte er auf der Couch im Wohnzimmer geschlafen. Als er erwachte, waren seine Frau und die Kinder schon gegangen.
Er verbrachte den Tag in gleichgültiger Langeweile, und nun wartete er darauf, wieder zur Arbeit verschwinden zu können. Ich bringe sie um, dieser Gedanke wiederholte sich monoton in seinem Hirn, und gleichzeitig: Warum tust du es nicht? Er rollte sich im Sessel zusammen und schloß die Augen. Das kann doch nicht alles gewesen sein, dachte er und schlief erschöpft ein.
Wollte man alle Geschichten erzählen, die an einem Abend in einer großen Stadt beginnen, bräuchte man nicht anzufangen.
Ein Einkaufszentrum in Spandau war ausgebrannt, weil Jugendliche durch die Fugen einer Glastüre Kracher geworfen hatten; im Schloß Bellevue gab der
Weitere Kostenlose Bücher