Sünden der Faulheit, Die
ab.
»Quäl’ mich bitte nicht«, sagte er ausweichend, aber in seinem Gesicht spiegelten sich Bitterkeit und Eifersucht. »Darüber ist das letzte Wort noch nicht gefallen. Ich will von diesen Geschichten heute abend nichts mehr hören. Nimm ein wenig Rücksicht auf mich, Franz.«
Belasc erhob sich, um das Geschirr abzuräumen, da schellte das Telefon.
»Es ist Mertens«, sagte er, den Hörer vor die Brust gepreßt.
»Gib her.«
Stirnrunzelnd hörte Steenbergen zu, was Mertens ihm zu sagen hatte. Belasc stand neben ihm, als warte er auf Anweisungen.
»Du hast recht, Wilhelm, das Telefon ist kein ideales Medium.« Steenbergen sah Belasc an. »Wir sind heute abend im ›Dorian Gray‹, wir müssen entspannen.«
Belasc nickte einverständig.
»Gut. Ab elf.«
Steenbergen hängte ein und betrachtete versunken seine Hände, die er wie zum Beten ineinandergelegt hatte. Belasc ging in die Küche.
»Gesindel!« fluchte Steenbergen, und das hörte sich ziemlich unangenehm an.
Raimund, der Kellner aus dem Café Oppenheimer, hatte ein Paar der italienischen Schuhe dem Koch des »Wohlmann« angedreht. Nun lungerte er im Gang zwischen Küche und Lokal und trank einen Calvados. Die blonde Kellnerin, die sich regelmäßig mit vollen Tabletts an ihm vorbeizwängte, würdigte ihn keines Blickes. Wenn Raimund getrunken hatte, pflegte er Zufallsbekanntschaften mit der Geschichte ihrer zerbrochenen Liebe zu langweilen. Als sie wiederkam, zischelte sie böse:
»Nerv’ nicht, Alter, ich arbeite.«
Raimund folgte ihr, aber nach zwei Schritten trat ihm der Barmann unfreundlich entgegen. Er wich mit einer Entschuldigung zurück und sah in die Küche. Der spindeldürre Koch tranchierte ein Huhn, er wollte nicht gestört werden. Hätte Raimund ein Ziel gehabt, wäre er längst gegangen, aber er hatte schon seit Jahren kein Ziel mehr. Er trollte sich wieder auf seinen Platz im Durchgang.
Auf den meisten der weißgedeckten Tische stand ein Messingschild: Reserviert, da das »Wohlmann« in Mode gekommen war. Die Qualität der Küche konnte zwar mit dem Andrang und den Preisen nicht mithalten, aber solange die Gäste nicht wegen des Essens kamen, nagte kein Zweifel am Vergnügen der Pächterin, nach Geschäftsschluß die Scheine zu zählen. Raimund stellte sein leeres Glas ab. Mit der blonden Kellnerin würde es nichts werden, er müßte das Lokal wechseln. Cool-Jazz schwebte unaufdringlich durch den Raum. Eine große, schlanke Frau betrat das Restaurant und sah sich um; die Kellnerin führte sie an einen Zweipersonen-Tisch am Fenster. Die Frau trug eine weite schwarze Hose, die ein handbreiter grüner Ledergürtel über den Hüften hielt. Unter dem dunklen Pullover zeichneten sich ihre großen Brüste ab. Raimund bekam einen trockenen Hals. Die Frau strich ihr dichtes, bläulich scheinendes Haar aus dem Gesicht und las in der Speisenkarte. Raimund trat von einem Bein aufs andere und bestellte sich noch einen Calvados.
Bernhard Lacan verließ das Haus zum zweitenmal heute durch den Vorderausgang. In Mahmuts Laden brannte Licht. Wahrscheinlich zählt er die Platten, um die er mich betrogen hat, dachte Lacan, aber es war ihm gleichgültig. Er hatte das Gefühl, ihm könne für den Rest seines Lebens nichts mehr zustoßen, und dieses Gefühl war völlig neu.
Sein Opel sprang stotternd an. Es war erheiternd, mit dem alten Wagen an hochgeklappten Motorhauben vorbeizufahren, unter denen aufgeregte Männer mit karierten Mützen Zündkabel verknoteten.
An einer Ampel drehte er den Rückspiegel auf sein Gesicht. Er hatte Brillantine im Haar verrieben, und eine glänzende Strähne fiel in seine Stirn. Lacan gefiel sich gut so, doch mit jedem Meter, den er sich seiner Verabredung näherte, wuchs seine Sehnsucht nach Irene Rabbia. Sehnsucht ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber er hatte ihre Stimme im Ohr, wie sie in der ekligen Funkhauskantine »Ich liebe dich« zu ihm sagte. »Werd’ bloß nicht romantisch«, redete er sich ein. »Werd’ bloß nicht romantisch!«, und schüttelte den Kopf.
Die dunkelhaarige Frau am Fenstertisch trank zurückgelehnt einen Martini. Raimund spürte, daß jetzt der richtige Augenblick gekommen war, auch wenn sie ihn kein einziges Mal angesehen hatte, doch der unfreundliche Barmann packte ihn mit einem harten Griff am Arm und drehte ihn mühelos um.
»Hier nicht, Raimund, verstanden?« sagte er mit zu hoher Stimme und ließ ihn los.
Der Windfang bewegte sich, und Lacan betrat das Lokal.
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