Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Peltzer
Vom Netzwerk:
schlug die Türe zu, das Paneel unten links verrutschte, und ein Streifen Flurlicht fiel in den dunklen Gang.
    Lacan hatte nicht mehr viel Zeit. Er setzte sich an den Tisch und dachte nach.
     
    Im Radio lief die Presseschau. In Uitenhage waren Rassenunruhen. Wo liegt Uitenhage? Siebert, der Gemüsehändler, vermutete in Holland, obwohl er sich nicht erklären konnte, warum so viele Farbige ausgerechnet in Holland wohnten. Selber schuld, dachte er und ging in das Lager hinter seinem Laden, um sich wie jeden Morgen mit einem Blick zu versichern, genug Ware zu haben für alle Kunden, die heute kämen.
    Der Wetterbericht des meteorologischen Instituts Dahlem: 7  Uhr: Graupelschauer von Ost nach West, überfrierende Nässe, Tageshöchsttemperatur 3  Grad.
     
     
    Die Graupeln schlugen in einem unregelmäßigen Takt vor Oberst Nikolai Koljatows Fenster. Das Wetter in Deutschland war wie die Deutschen, weder – noch; das jedenfalls ist uns gelungen, dachte Koljatow, aber wer stellt sich schon auf die Straße, ballt die Faust gen Himmel und fordert eine gerechte Strafe?
    Er sollte als Gutachter zu einem Disziplinarvergehen Stellung nehmen. Wachsoldaten hatten sich mit Offizieren der amerikanischen Militärmission in Potsdam geprügelt, obwohl sie sich gar nicht in der Nähe eines Sperrgebiets aufgehalten hatten. Die Wachen hatten zu Protokoll gegeben, sie seien von den Amerikanern provoziert worden. Koljatow war es leid, sich mit solchen Kindereien zu beschäftigen. Er überflog den Bericht und konnte sich nicht vorstellen, dazu auch nur einen Satz zu formulieren. Mürrisch schob er den Ordner beiseite und nahm sein Japanisch-Lehrbuch zur Hand. Während er las, machte er am Rand Notizen, manchmal bewegte er lautmalend den Mund. Draußen donnerte es. Koljatow zog seine Stirn in Falten. Ein Gewitter im Januar hatte es noch nie gegeben. Er stand auf, knöpfte die Uniform zu und schloß sein Koppel. Mit gesenktem Kopf schritt er eine Zeitlang auf und ab.
    »Hab ich mein blitzendes Schwert geschärft/Und greift meine Hand nach dem Köcher/Dann zahl ich Rache meinen Drängern heim/Und übe Vergeltung an meinen Hassern.«
    Er repetierte einen anderen Psalm und lauschte dem Prasseln des Regens. Dann kam Oleg. Koljatow legte den schweren Mantel über die Schultern und folgte seinem Fahrer durch die langen Korridore der Kaserne. Wann hatten diese Tage ein Ende?
     
    Am Ende der Straße, die von mächtigen kahlen Bäumen gesäumt war, lag in einem ehemaligen Kino ein Billigsupermarkt. Links und rechts parkten in Schneebuchten Wagen, einige waren mit einem Matsch- und Schneemantel bizarr bedeckt. Die Fassaden hier besaßen noch etwas vom Glanz der Gründerjahre, obwohl die meisten einen Anstrich brauchten. An einem Haus hingen zusammengenähte Bettlaken, auf die in Rot und Schwarz Parolen gegen die Sanierung gemalt waren. Kinder gingen zur Schule, Rentnerinnen standen an der Ecke, hinter sich ihre Einkaufswägelchen, und ein Straßenfeger streute Asche auf die Gehsteige. Am Himmel ballte sich im Osten über den Häusern ein quellendes Wolkengebirge.
    Vorsichtig bog der Fahrer des Transporters um die Verkehrsinsel in der Mitte des kleinen dreieckigen Platzes vor dem Supermarkt. Unter den Deckscheiben der Armaturen rann Kondenswasser in Ritzen und Fugen, die Scheiben seines Häuschens waren beschlagen. Als er Gas gab und den Rückwärtsgang suchte, trieb eine gewaltige Abgaswolke aus dem Auspuff. Die alten Frauen unterbrachen ihr Gespräch und sahen dem Wendemanöver zu. Ein Opel Ascona hupte ausdauernd, weil der Lastwagen die Durchfahrt sperrte. Dann rutschte dem Fahrer der Fuß von der Kupplung. Glas splitterte, und der Ton sich verbiegenden, ineinanderschiebenden Blechs platzte dumpf in die Kälte des Morgens.
    Die Frauen packten ihre Einkaufswagen, die Kinder unterbrachen ihren Schulweg, und alles rannte zum Ort des Geschehens. Fenster öffneten sich, und Kissen wurden auf die Fensterbänke gelegt; von weit oben sah es aus, als habe ein Ameisenvolk den Kadaver einer Maus gefunden.
    Als die ersten Schaulustigen sich dem Jaguar näherten, schwankte er noch von dem heftigen Aufprall. Der Fahrer des Transporters lehnte aus dem Führerhaus und betrachtete fassungslos, was er angerichtet hatte, da rief ein Mädchen:
    »Uuaah, stinkt det!«, und ein anderes, das sein Gesicht vor eine Scheibe des Autos preßte, kreischte: »Da liegt ja einer, eiij, da liegt einer drin!«, bis es von einer der alten Frauen fortgezogen wurde, die selbst

Weitere Kostenlose Bücher