Sünden der Faulheit, Die
fragte Steenbergen gelassen.
»Ich hab’s.«
»Wer sind Sie?«
»Unwichtig.«
Steenbergen schwieg, und Lacan wußte schon wieder nicht, wie es weitergehen sollte.
»Was wollen Sie?«
»Ich? Ich will nichts. Wollen Sie’s zurückhaben?«
»Es gehört mir«, sagte Steenbergen.
»Deshalb will ich’s Ihnen ja wiedergeben!«
»Preis?«
»Über den könnte man sich einigen.«
Anfänger, dachte Steenbergen. »Wie können wir zusammenkommen?« fragte er dann.
»Sie sind also interessiert?«
»Sicher, ja.«
Lacan fühlte sich nicht wohl in seiner neuen Rolle, er wollte das Gespräch beenden.
»Ich rufe Sie im Laufe des Tages wieder an.«
»Gerne«, sagte der Holländer, aber das hörte Lacan schon nicht mehr, weil er aufgelegt hatte.
Nachlässig und ohne hinzusehen langte der Kellner in die Kasse, als Bernhard ihn um zwei Groschen bat.
Auf einen eingerissenen Zettel war Irene Rabbias Nummer im Haus des Rundfunks gekritzelt.
»Kannst du dir vorstellen, irgendwo anders zu wohnen?« hatte Irene Rabbia ihren Sohn während des Frühstücks gefragt.
»Wie meinste das?«
»Nicht mehr in Berlin.«
Raffael schob ein Tomatenviertel in seinen vollen Mund und konnte nicht antworten. Irene rauchte und trank Kaffee.
»Afrika«, sagte er und goß sich ein Glas Milch ein.
»Wie bitte?«
»Im Dritten, der Film über die Jäger mit John Wayne.«
»›Hatari‹?« fragte Irene.
»Genau! Mit’m Jeep haben die ein Nashorn gefangen, mit ’ner Schlinge, und dabei ist einer rausgefallen. Haben alle zusammengewohnt auf ’ner Farm.«
»Also Afrika?«
»Für mich kommt nur Afrika in Frage«, sagte Raffael selbstbewußt und sprang hoch. Er nahm seine Schultasche, umarmte Irene, und die Eingangstüre knallte ins Schloß. Was sollen wir auch in Stuttgart? dachte Irene und drückte die Zigarette im Eierbecher aus.
Sie hatte den Vormittag an ihrem Schreibtisch verbracht, den Kopf in die Hände gestützt; die Stimmen und Bewegungen der anderen waren weit entfernt. Einmal versuchte sie Lacan anzurufen, doch sie hatte aufgelegt, bevor er sich melden konnte.
Die Klimaanlage rauschte, und vor der Fensterfront zogen zerrissene Wolkenschwaden. An der Decke platzte eine Neonröhre, und Irene erwachte. Das Telefon schellte.
»Rabbia.«
»Ich muß dich sofort sehen!«
»Wo bist du?«
»In einer halben Stunde vor dem Haupteingang des Zoos!«
»Was ist denn los? Gut, in einer halben Stunde!«
Auf dem Korridor begegnete sie Leschek.
»Wo willst du denn hin?« fragte er, doch sie lief ohne Antwort an ihm vorbei.
Ungeduldig schlug sie im Aufzug vor die Tafel mit den Etagenknöpfen. Als die Drehtüre sie auf die Straße wirft, weiß sie, daß sie nicht so bald zurückkehrt.
Die Verhandlung war nur noch Formsache: Übergabe der Filme, Bestätigung der Konditionen, es gab keine Schwierigkeiten. Es war ein einfaches Kompensationsgeschäft, ein Teil des Rechners wurde in bemalter Leinwand bezahlt. Diesmal hatte Steenbergen zwei Bilder Heckels für seine im Verborgenen blühende Sammlung verlangt.
Oberst Koljatow folgte dem Geplänkel unaufmerksam. Immer wieder wanderte sein Blick über den Tisch zu Florence, bis ihm endlich einfiel, an wen sie ihn erinnerte.
Auf seinem Schulweg war er oft an einer jungen Frau vorbeigekommen, die für ein paar Kopeken Strohblumen verkaufte. Die Sträuße lagen auf einem umgedrehten Karton, und manchmal war er stehengeblieben, um ihr zuzusehen. Einmal hatte sie ihm eine getrocknete Blume durch ein Knopfloch seiner Jacke gesteckt und ihn angelächelt. Eines Tages im Herbst hatte er von weitem beobachtet, wie die Miliz sie fortzerrte.
Drei oder vier Wochen nach jenem Vorfall hatte er den Kummer, den eine verlorene erste Liebe hervorruft, vergessen und nicht mehr an sie gedacht, bis er jetzt Florence sah, in deren Gesten das Bild der Blumenverkäuferin wieder erstand, und in ihm lag »die wilde Schwermut, die uns bei der Erinnerung an Zeiten des Glücks ergreift«.
Wilhelm Mertens und Florence Blumenfeldt packten ihre Unterlagen und erhoben sich. Dr. Belösy stand neben Oberst Koljatow. Wie immer vermieden es alle, sich die Hand zu reichen. Koljatow spielte unaufmerksam mit einem Bleistiftstummel in seiner Tasche. Als Florence den Raum verließ, schaute er ihr verwundert nach.
Auf einem einfachen rechteckigen Messingschild neben dem Eingang stand: » VEB Interhandel Telemex«, darunter waren die Rippen der Gegensprechanlage.
»Was bedeutet eigentlich Telemex?« fragte
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