Sünden der Nacht
heran? Ihr gebt doch diesen Kerlen nur Löffel zu ihrem Essen, oder?«
Mitch sah Bürgermeister Don Gillen an, der vor seinem
Schreibtisch stand und alles tat, um aus Magensäure und Streß Geduld zu erzeugen. »Er hatte kein Messer, Don, hatte
überhaupt keine Waffe, sondern sein Glasauge zertrümmert und sich mit den Scherben die Pulsadern aufgeschlitzt … Wenn du mir irgend jemanden im Stadtrat nennst, der das hätte
voraussehen können, stecke ich ihm mit Freuden meine Marke an und ziehe mich aus dem Beruf zurück.«
»Heiliger Strohsack.« Gillen war wie vom Donner gerührt.
Seine blauen Augen blinzelten hinter seiner goldgeränderten Brille. Zusätzlich zu seinem Amt als Bürgermeister bekleidete er einen Verwaltungsposten bei den Gemeindeschulen von Deer Lake. Er war gute fünfzig, zog sich aber immer noch wie ein modebewußter Yuppie an, auffällige Krawatten und Hosenträger waren sein Markenzeichen.
»Himmel, Mitch, das ist ja grauenhaft.«
Mitch breitete die Arme aus. »Es wäre mir lieb, wenn du das niemandem außer den Mitgliedern des Stadtrats erzähltest.«
»Ja, klar.« Gillen ächzte bekümmert, als er sich aus dem 449
Besucherstuhl erhob. »Du glaubst also, es ist fast vorbei?« fragte er hoffnungsvoll. »Dieser Olie hat es getan und sich dann umgebracht, weil er sich schuldig fühlte oder den Gedanken, zurück ins Gefängnis zu müssen, nicht ertragen konnte?«
»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, Don«, Mitch stand
ebenfalls auf.
»Gar nichts weiß ich.«
Gillen wollte etwas sagen, verstummte aber, da es an der Tür klopfte. Megan steckte den Kopf herein, ohne auf eine
Einladung zu warten.
»Verzeihung, Chief«, sie sah ihn offen an. »Tut mir leid, wenn ich störe, aber ich habe hier etwas äußerst Dringendes. Ich muß sofort mit Ihnen reden.«
Sie betrat den Raum, mit einer Hand umklammerte sie eine Faxrolle.
Ihr Gesicht war gespannt und blaß, nur ihre Augen funkelten.
Mitchs Instinkte regten sich wie Radarfühler. Sie hatte etwas Konkretes, er spürte es.
»Ja, kommen Sie rein, Agent O’Malley«, er trat hinter seinem Schreibtisch hervor. »Sie kennen unseren Bürgermeister, Don Gillen?«
Megan nickte dem Bürgermeister kurz zu, sie war sich nur allzu bewußt, daß Gillen sie und Mitch nicht aus den Augen ließ. Offensichtlich wußte man in der Stadt schon über sie beide Bescheid, aber im Moment war ihr das scheißegal.
»Bitte, halte mich auf dem laufenden, Mitch«, sagte Gillen.
»Ich werde im Gemeinderat tun, was ich kann.«
»Danke, Don.«
Gillen verließ den Raum und schloß die Tür hinter sich.
Megan wartete volle zehn Sekunden, ihr Herz klopfte bis zum Hals, sie atmete so heftig, als wäre sie von ihrem Büro hierhergesprintet. Mitch stand mit in die Hüften gestemmten 450
Fäusten vor seinem Schreibtisch, sein Gesicht war
undurchschaubar, auf der Hut.
»Letzten Freitag hab ich vom DMV einen Bericht über den Van angefordert, den Paul Kirkwood einmal besessen hat – den, den er ganz aus Versehen vergessen hatte«, begann sie. »Ihre Computer waren zusammengebrochen. Sie haben sich nicht mehr bei mir gemeldet: Wie sich rausstellte, hatten sie meine Anfrage verloren. In der Zwischenzeit beantragte ich eine Überprüfung von Olie Swains Van – die Ergebnisse halte ich in meiner Hand. Dreimal darfst du raten, woher er ihn hat.«
»Doch nicht von Paul?« Mitchs Nerven krümmten sich wie Schlangen in seinem Magen.
Megan überreichte ihm das Fax quasi als Hochschuldiplom.
»Gib dem Mann eine Zigarre, Treffer, auf Anhieb versenkt.«
Mitch rollte das Papier auseinander und starrte es an. »Ich kann nicht glauben, daß er sich nicht daran erinnert, Olie den Van verkauft zu haben.«
»Es gibt eine Reihe von Dingen bei Kirkwood, die ich nicht so recht glauben kann. Der Herr befindet sich in der
Freiwilligenzentrale. Ich hab angerufen und ihn gebeten, auf einen kleinen Plausch rüberzukommen. Ich dachte, du wärst vielleicht gerne dabei.«
Paul verkaufte seinen Van an Olie, versuchte diese Tatsache zu vertuschen, schon bevor Olie offiziell in Verdacht geriet. Die Assoziationen waren einfach zu häßlich. Mitch wollte sie nicht einmal durchdenken, geschweige denn, sie Paul gegenüber zur Sprache bringen. Aber er hielt den Beweis in seiner Hand, ein ebenso stichhaltiger Beweis wie eine rauchende Pistole.
»Ich halte es für besser, wenn ich mit ihm rede«, murmelte er.
»Das dachtest du letzte Woche auch. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, daß es
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