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Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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das Tuch hoch.
    Das Tuch, das Paul ihr abgenommen hatte. Das Tuch, mit dem er sie an sich gezogen, das er sich immer fester um seine Fäuste gewunden hatte.
    Das Tuch, das er im Wäscheraum auf den Boden hatte fallen lassen.
    Karen sagte nichts. Garrett legte es auf die Arbeitsfläche und verließ den Raum.
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    Kapitel 28
    TAG 8
    21 Uhr 03, -34 Grad, Windabkühlungsfaktor: -48 Grad Mitch starrte auf das Nachrichtenbrett an der Strategieraum-Wand, bis die Botschaften des Kidnappers wie ein Kaleidoskop durch seinen Kopf wirbelten. Er stemmte die Ellbogen auf den Tisch, legte seinen Kopf in die Hände und trachtete danach, sich die Müdigkeit aus den Augen zu reiben. Vergeblich. Sie saß weit tiefer, hämmerte gnadenlos auf ihn, ein kalter, schwarzer Prügel, der ihn in der Mangel hatte, um seine Logik, seine Objektivität aus dem Lot zu bringen. Er fühlte sich launisch, gemein und gefährlich. Die Erschöpfung weichte die harte, schützende Schale der Beherrschung auf und gestattete Schuldgefühlen und Verunsicherung einzudringen, wie giftiger Schlamm.
    Schuldgefühle. Er hatte den Ausdruck auf Hannahs Gesicht gesehen, als Paul ihr seinen Vorwurf, genauso grob wie das Feuereisen an die Wand, vor die Füße geschleudert hatte. Ein Ausbruch von Schmerz, aber darunter Schuldgefühle. Sie machte sich selbst genauso viele Vorwürfe, wie Paul ihr. Er wußte genau, was sie empfand –, die unentwegte, sinnlose Selbstbestrafung, der Schmerz, der so vertraut wurde, daß man ihn auf eine perverse Art fast nicht mehr loslassen wollte.
    »Du solltest vielleicht deine Knöchel versorgen lassen«, sagte Megan leise. »Der Himmel weiß, was für ekliges Zeug in Steigers Körperflüssigkeit herumschwirrt. Ich bin auf dem Weg ins Krankenhaus. Willst du mitkommen?«
    Mitch riß seine Hände vom Gesicht und klatschte sie auf den Schreibtisch. Er wußte nicht, wie lange sie schon da stand, an 503
    den Türrahmen gelehnt, während er mit seinen inneren
    Dämonen kämpfte. Sie kam in den Konferenzraum, die Augen auf Halbmast und massierte sich ihren verspannten Nacken.
    »Mir geht’s gut.« Mitch warf einen Blick auf seine
    Handknöchel, die er sich aufgeschürft hatte bei der Bearbeitung von Steigers Nase. »Ich hab meine Tetanusimpfung.«
    »Eher dachte ich an Tollwut oder Maul- und Klauenseuche«, frotzelte sie und hockte sich auf eine Tischkante ihm gegenüber.
    »Warum fährst du denn ins Krankenhaus?«
    »Ich werfe mein Schleppnetz nach Verdächtigen aus.
    Natürlich haben wir da schon alle vernommen, aber ich möchte ein bißchen weiterwühlen. Hannah glaubt nicht, daß irgendeiner ihrer Patienten oder deren Familien so weit gehen könnten, Josh zu entführen. Aber ich glaube, die Sache ist es wert, noch mal überprüft zu werden. Hannah ist sich vielleicht keiner Feindseligkeit bewußt, aber ich wette zuversichtlich, daß das Pflegepersonal mir ein oder zwei Namen nennen kann. Jeder wird von irgend jemandem gehaßt.«
    »Zynikerin.«
    »Realistin«, verbesserte ihn Megan. »Ich bin lange genug in diesem Job, um zu wissen, daß Menschen letztendlich
    egoistisch, verbittert und rachsüchtig sind, wenn nicht sowieso total über den Jordan.«
    »Und dann ist da unser Typ.« Mitch erhob sich aus seinem Stuhl, die Augen auf das Nachrichtenbrett gerichtet. Sein Blick streifte über jede Zeile, und er spürte, wie seine Nackenhaare sich aufstellten, »das Böse«.
    Das Böse. Das, was sie von Anfang an befürchtet hatten. Bei einer Entführung gegen Lösegeld ging es um Habgier. Habgier war etwas, mit dem man fertig werden, die man austricksen konnte. Geisteskrankheit erwies sich häufig als gefährlich und unberechenbar, aber die Irren machten irgendwann einen Fehler.
    Das Böse war kalt und berechnend, spielte Spiele mit
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    unbekannten Regeln und geheimen Systemen. Es streute falsche Beweise, dann ging es seelenruhig zum Haus eines Nachbarn und bat um Hilfe bei der Suche nach dem Hund des Opfers.
    Das Phantombild von Ruth Coopers frühmorgendlichem
    Besucher hing am Korkbrett. Ein Mann unbestimmten Alters, mit einem hageren Gesicht, das keinerlei besondere Merkmale aufwies. Die Augen waren hinter einer Sportsonnenbrille versteckt. Unter der dunklen Mütze hätten die Haare jede Farbe haben können. Die Kapuze seines schwarzen Parkas schuf einen Tunnel um sein Gesicht, so daß er wie ein Gespenst aus einer anderen Dimension aussah.
    »Nicht direkt eine Fotografie, was?« meinte Megan
    niedergeschlagen.
    »Nein wenigstens glaubt

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