Sünden der Nacht
er wohl jetzt gerade seinen nächsten Schachzug überlegte und wie die unfreiwilligen Spieler in seinem kranken Spiel darauf reagieren würden.
Macht. Darum ging es hier, den Allmächtigen zu spielen. Die Macht, Leuten das geistige Rückgrat zu brechen, bis sie um Gnade winselten.
Der Rausch zu zeigen, wieviel raffinierter er war als alle anderen.
»Es ist leicht, ein Spiel zu gewinnen, dessen Regeln man selbst erfunden hat«, murmelte Megan. »Gib uns einen Hinweis, Wichser, nur einen lausigen Hinweis. Dann werden wir ja sehen, was passiert.«
Bald. Es mußte bald passieren. Sie spürte, wie ihr die Zeit unter den Fingern zerrann. DePalmas Ultimatum hing wie ein Amboß unter ihrem Kopf – … Sorgen Sie dafür, daß es vorangeht ! Sie bog in die Simley Street, eine Straße westlich von St. Elysius ein, schaltete die Scheinwerfer aus und ließ den Lumina eine halbe Straße weiterrollen, bis sie ihn am Randstein parkte. Simley Street war um zehn Uhr nachts wie ausgestorben.
Die Bewohner der ordentlichen Schuhschachtelhäuser klebten alle am Fernseher – mit der bemerkenswerten Ausnahme von Albert Fletcher. Im Wohnzimmerfenster von 606 Simley Street war kein Licht zu sehen und auch in keinem anderen Fenster des einstöckigen Hauses.
Wo konnte ein sechzig Jahre alter, katholischer Diakon an einem Mittwoch um viertel nach zehn abends sein? Wagte er ein Tänzchen mit irgendeiner heißen Witwe? Bei dem Gedanken überlief Megan eine Gänsehaut.
Sie überquerte die Straße und ging entschlossenen Schrittes den Gehsteig entlang, als sei das ganz selbstverständlich. Der Trick, sich da hineinzumengen, wo man nicht hingehörte –
einfach so zu tun als ob.
Nun befand sie sich in der Einfahrt von 606 und huschte rasch 515
seitlich an der Garage entlang, entschwand der Sichtweite von Nachbarn, die zufällig aus den Fenstern schauten.
Der Schnee quietschte wie Styropor unter ihren Stiefeln.
Selbst die Stoffhülle ihres Parkas war steif vor Kälte. Jede Bewegung, die sie machte, klang, als würde jemand eine Zeitung zerknüllen. Sie verfluchte sich, weil sie in dieser gottverlassenen Gefrierschrankgegend geblieben war, und tastete in ihrer Tasche nach der kleinen Taschenlampe.
Fäustlinge waren für feinere Handgriffe recht ungeeignet, einer der Gründe, warum die Zahl der Einbrüche bei kaltem Wetter dramatisch zurückzugehen pflegte.
Die Seitentür der Garage war abgesperrt. Megan hielt
schützend die Hand über den Lichtkegel, richtete ihn auf das Fenster und spähte hinein. Sie hielt den Atem an, damit das Glas nicht beschlug. Das einzige Auto in der Garage war
undefinierbar mit einer Plane verhüllt, wie eine alte Couch, die sich unter einem Überwurf versteckt; die zweite, nähergelegene Box war leer. Alles sah makellos aus. Es gab nicht einmal einen Ölfleck auf dem Boden.
Sie wandte sich ab und folgte dem Weg zur Treppe auf die hintere Veranda, in der Absicht durch die Fenster zu spähen, aber alle Vorhänge waren zugezogen, sogar die im Keller. Um die Fundamente des Hauses zogen sich über dicken, undurch-sichtigen Plastikfolien Schneeanhäufungen, zur Isolierung.
Megan kniete sich fluchend vor ein Erdgeschoßfenster und schaufelte den Schnee mit der Hand weg. Sie zog einen
Fäustling aus, grub nach ihrem Taschenmesser und löste ein paar der Heftklammern von der Latte, an der die Folie befestigt war. Sie zerrte den Kunststoff herunter und lenkte die Taschenlampe durch das Kellerfenster. Der Raumteil, den sie sehen konnte, war so sauber gefegt wie ein Tanzboden Keine Stapel alter Farbdosen. Keine Stöße von Zeitungen. Keine Schachteln mit abgelegter Kleidung. Kein Kerker. Kein
Horrorkabinett. Kein kleiner Junge.
516
Teils enttäuscht und teils erleichtert setzte sich Megan auf ihre Fersen und knipste ihr Licht aus. Im selben Augenblick tasteten sich Scheinwerfer in die Einfahrt.
»Scheiße!«
Hastig stopfte sie Taschenlampe und -messer in ihre Jacke und schaffte es dabei, sich die Klinge in die Handfläche zu rammen.
Sie verkniff sich ein Aufheulen und schob den Schnee mit der gesunden Hand wieder an das Fenster. Die Garagentür begann sich automatisch zu öffnen. Den Schnee festklopfend huschte ihr Blick immer wieder zur Garage. Fletcher fuhr herein, ohne sie zu sehen, aber wenn er durch den Seiteneingang zu seiner Hintertür ging, war sie verratzt.
Der Motor rumpelte und ging aus. Megan lief geduckt die Hintertreppe hoch, sprang über die Schwelle hinunter, bog um die Ecke und prallte frontal
Weitere Kostenlose Bücher