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Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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Situation. Helen war dreiundvierzig, geschieden und konserviert – ihre eigenen Worte – durch Tretmühlenqualen, Elizabeth Arden und Slim Fast. Bei freundlicher Beleuchtung war sie recht attraktiv, aber heute konnte man die Falten, die Streß und Zeit um ihre Augen hinterlassen hatten, nicht wegdiskutieren. Der blonde Farbton, den sie sich im Salon Rocco Altobelli ausgesucht hatte, sah irgendwie billig aus und betonte ihre Blässe noch mehr.
    Helen besaß ihr eigenes Porträtfotostudio im ersten Stock eines renovierten Gebäudes in der Innenstadt. Sie hatte die Aufnahme von Mitch und Jessie gemacht, die auf dem
    Schreibtisch in seinem Büro stand. Ihr wohnte das Talent inne, die Persönlichkeit ihrer Kunden einzufangen, was ihr viele Aufträge aus der ganzen Umgebung einbrachte. Helen war eine der Frauen, mit denen Mitchs Freunde ihn in den letzten zwei Jahren hatten verkuppeln wollen. Er hatte sich abgeseilt und Helen ihre Fühler anderweitig ausgestreckt.
    »Wann war das?« fragte Megan, mit dem Kugelschreiber in den Startlöchern.
    Sie saß Helen Black gegenüber an einem Tisch aus
    Nußholzimitat.
    207
    Russ Steiger hatte den Plastikstuhl zu Megans Linker
    hergezogen und seine schweren Winterstiefel darauf plaziert.
    Schmelzender Schnee und Dreck sammelten sich in der
    Sitzschale. Mitch saß neben der Zeugin, den Blick ihr
    zugewandt. Er hatte ebenfalls einen Block und einen Stift dabei, aber sie lagen unberührt auf dem Tisch. Helen Black besaß seine ganze Aufmerksamkeit.
    Sie ruderte hilflos mit den Armen. »Das kann ich nicht genau sagen. Es muß vor sieben gewesen sein und später als die übliche Zeit, zu der die Jungs abgeholt werden, sonst hätte ich mir nichts dabei gedacht. Tatsächlich hab ich mir nichts dabei gedacht. Es ist mir nur aufgefallen, weil mir durch den Kopf ging: Da ist jemand genau so spät dran wie ich.«
    »Können Sie beschwören, daß es der Kirkwood-Junge war?«
    fragte Steiger. Sie blickte aufgeregt um sich, zog die Brauen zusammen, bis sich eine tiefe Furche in ihre Stirn grub. »Nein.
    Ich hab nicht so genau aufgepaßt. Ich weiß, daß er eine helle Pudelmütze aufhatte, und daß er als einziger Junge auf dem Gehsteig stand.« Tränen schossen ihr in die Augen. Sie umklammerte das zerfledderte Papiertaschentuch in ihrer Faust noch fester, machte aber keine Anstalten es zu benutzen. »Wenn ich gewußt hätte – wenn ich irgendeine Ahnung gehabt hätte –
    mein Gott, das arme Kind! Und Hannah – sie muß dem
    Wahnsinn nahe sein.«
    Sie drückte ihre Faust an den Mund, und immer noch flossen die Tränen. Mitch streckte die Hand aus und legte sie über ihre andere auf dem Tisch.
    »Helen, es war nicht Ihre Schuld …«
    »Wenn ich gewußt hätte … Wenn ich besser aufgepaßt hätte
    … wenn ich dann jemanden angerufen hätte …«
    Steiger kaute ungerührt auf einem Zahnstocher. Er warf Megan einen Blick zu, aber nur um in ihren Ausschnitt zu sehen.
    Sie starrte wütend zurück und widerstand dem Drang, ihre Bluse 208
    bis zum Hals zuzuknöpfen.
    »Wär nett gewesen, wenn wir das vor vierundzwanzig Stunden gehört hätten«, brummte Russ.
    »Es tut mir ja so leid!« rief Helen mit einem schuldbewußten Blick auf Mitch. »Ich hab einfach nicht geschaltet, bin nach Minneapolis gefahren, hab mir das Stück angesehen und bin über Nacht geblieben, weil ich einkaufen wollte. Den ganzen Tag war ich in der Mall of America und hab kein Wort über die Sache gehört bis heute abend hier zu Hause. Mein Gott, wenn ich es bloß gewußt hätte!«
    Sie ließ den Kopf auf ihre Hand fallen und schluchzte. Mitch warf dem Sheriff einen vernichtenden Blick zu. »Helen«, sagte er leise und tätschelte ihre Schulter. »Du hattest keinen Grund zu glauben, daß irgend etwas nicht in Ordnung ist. Was kannst du uns über den Wagen sagen?«
    Sie schniefte und wischte ihre triefende Nase mit dem
    zerfetzten Taschentuch ab. »Es war ein Van. Mehr weiß ich nicht. Du kennst mich doch – ich kann den Anfang nicht vom Ende eines Autos unterscheiden.«
    »Also, war’s ein großer Van?« fragte Steiger ungeduldig. Er nahm seinen Fuß vom Stuhl und rannte hin und her wie ein Dobermann an einer zu kurzen Leine. »War es einer mit Holz, ein umgebauter? Was?«
    Helen schüttelte den Kopf.
    Megan verkniff es sich, dem Sheriff vorzuschlagen, doch das charakterlich Unmögliche zu versuchen, und Mitch und ihr die Vernehmung zu überlassen. Statt dessen konzentrierte sie sich auf die Zeugin. »Versuchen wir’s doch

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