Sünden der Nacht
Mal fiel ihm auf, daß Leos Zertifikate und
Belobigungen immer noch an seiner Ego-Wand hingen,
zusammen mit dem Wallydem-Wandauge, für die Ewigkeit
konserviert mit dem Zigarrenstummel in seinem häßlichen Fischmaul. Der arme alte Leo war ohne Erben verschieden, die die Andenken seines Lebens hätten einsammeln können. Der widerliche Gestank seiner billigen Zigarren hing immer noch im Raum, lauerte hinter den stickig süßen Wogen von Raumdeo.
Das einzige Zeichen von Megas Übernahme des Büros stand an der Vorderkante des Schreibtischs, ein glänzendes
Messingschild – AGENT MEGAN O’MALLEY, BCA.
Megan beobachtete ihn genau. Er wollte sie rauswerfen, aber befand sich in ihrem Territorium, hatte Lust zu verschwinden, aber würde es nicht tun. Sie wußte, wie seine Antwort lautete, noch bevor sie die Frage äußerte.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich einzuweihen,
Chief?«
»Wir sind nicht hier, um über mich zu reden«, er fletschte die Zähne.
»Ach nein?« Megan ging auf ihn zu, die Hände in die Hüften gestemmt, eine unbewußte Kopie seiner Haltung. Sie standen sich wie zwei Revolverhelden gegenüber, und die Spannung zwischen den beiden war fast so greifbar wie der abgestandene Zigarrenrauch.
Er starrte sie an, sein Gesicht war nur noch eine Maske von harten Flächen und scharfen Kanten. Stolz und Zorn und etwas wie Panik verschlang sich zu einem Knoten in seiner Brust, der weg sollte. Sie wollte ihn aus dem Weg haben, da sie seine Geschichte störte. Wie ein in die Ecke gedrängter Wolf wollte er zuschnappen, aber das Bestreben, diesen Zorn unter Kontrolle 244
zu halten, siegte. Also blieb er einfach stehen, jeder Muskel so starr wie die Mauern, die er errichtet hatte, um sich zu schützen.
»Sie bewegen sich auf dünnem Eis, O’Malley«, flüsterte er drohend. »Ich schlage vor, Sie machen einen Rückzieher.«
»Nicht, wenn das, was hier abläuft, die Projektion Ihrer Gefühle auf Paul Kirkwood ist«, Megan wagte trotzig einen weiteren Schritt hinaus aufs sprichwörtlich dünne Eis; sie wußte sehr wohl, daß sie in den Strudel von Zorn gerissen wurde, der unter der Oberfläche toste, falls es brach. »Wenn das nämlich hier so abläuft, dann werden wir erst recht darüber reden. So etwas hat bei einer Ermittlung nämlich nichts zu suchen, und das wissen Sie!«
Bei einer Ermittlung hatten allerdings auch die Gefühle nichts zu suchen, die sich jetzt in ihr regten. Sie wollte, daß er sich ihr anvertraute – nicht zum Wohle des Falls, sondern weil sie sich in einem Winkel ihres Herzens, den sie nur selten wahrnahm und dem sie sonst nie nachgab, wünschte, ihm näherzukommen.
Gefährlich, egal wie man es betrachtete. Gefährlich und verführerisch.
Die Hitze zwischen den beiden stieg um einen Grad und um einen weiteren. Dann wandte er sich abrupt ab, beendete damit die Spannung auf unbefriedigende Weise.
Während Mitch sich abmühte, Atem sowie Jähzorn in den
Griff zu kriegen, fixierte er einen Schnappschuß von Leo. Das Foto zeigte Leo beim jährlichen Barbecue der Friedensliga – mit hochrotem Kopf, einer fleckigen Kochschürze über seinem Schmerbauch und einer Kappe, aus der auf einer Seite ein Plastikforellenkopf ragte und auf der anderen Seite der Schwanz. Mit einem Bierkrug in der Hand und einer Zigarre zwischen die Zähne geklemmt, stand er neben einem Schwein, das an einem Spieß grillte.
Das Leben war verflucht einfacher gewesen mit Leo hier. Er gehörte zu der alten Generation, den neue Theorien der 245
Kriminologie und Psychologie oder Verhaltensmuster nicht interessierten. Mitch hatte das Bedürfnis gehabt, Leo sein Herz auszuschütten. Er wollte die Tür zu dem alten Schmerz nicht öffnen, wollte seine Achillesferse nicht zeigen, ganz besonders nicht hier, in seinem Job. Hier mußte er mehr als anderswo seine Emotionen unter Verschluß halten.
»Hören Sie«, lenkte er ein. »Ich finde nur, Sie hätten diplomatischer vorgehen sollen, mehr nicht. Wenn Sie Pauls Van finden wollen, bitte. Machen Sie’s übers DMV. Eventuelle Vernehmungen übernehme ich.«
»Ich habe den DMV bereits angerufen. Sie überprüfen es«, erwiderte Megan. Ihr Adrenalin versickerte, und sie fühlte sich mit einem Mal ausgelaugt. »Oder, sie versuchen es zumindest.
Ihr Computer ist abgestürzt. Ich wollte doch nur eine Erklärung von ihm«, fügte sie hinzu. »Mir ist klar, daß Menschen auf solchen Streß unterschiedlich reagieren, aber … ich hab das Gefühl, er will nicht mit mir reden
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