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Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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läutete ihr Telefon. Sie schnitt hinter seinem Rücken eine Grimasse, als er den Raum verließ. »Alpha-Männchen«, murmelte sie.
    Der Anrufbeantworter sagte sein Verslein auf und Brian DePalma knurrte, sie solle ihn auf der Stelle zurückrufen. Megan zuckte kurz zusammen, dann streifte sie sich ihren Parka über.
    10 Uhr 02, -9 Grad
    »Mit dem Scanner können wir ein hochwertiges Computerbild von Josh herstellen, das elektronisch an Computer im ganzen Land weitergeleitet werden kann, und diese Computer können dann noch mehr Handzettel drucken«, erklärte Christoph Priest.
    Er mußte ziemlich laut reden, um sich in dem Getöse von Stimmen, polternden Stühlen und Tischen, die zurechtgerückt wurden, verständlich zu machen. Im Hintergrund dröhnte Wynonna Judd aus dem Radio, das auf eine nahe Countrystation eingestellt war.
    Der Student am Terminal war einer von fünfen in
    Daunenjacken und Pudelmützen, die munter auf ihre Keyboards einhackten. Megan beobachtete, wie Joshs Bild in Farbe auf dem Monitor erschien. Das strahlende Lächeln, die zerzausten Haare, die Pfadfinderuniform – das Bild war jedesmal ein Faustschlag in den Magen. Ein so glücklicher kleiner Junge. Er hatte noch so viel Leben vor sich. Wenn sie ihn nur finden könnten! Bald. Die Sekunden verrannen ohne Erbarmen, und sie widerstand dem Drang, auf ihre Uhr zu blicken.
    Megan wandte sich vom Monitor ab und sah das provisorische Zentrum an. Der Raum verwandelte sich vor ihren Augen.
    249
    Tische, Stühle und Büroausrüstung wurden durch Vorder- und Hintertüren hereingehievt, wodurch ein eisiger Windtunnel durchs ganze Gebäude zog. Die Freiwilligen nahmen ihre Plätze an den Tischen ein, türmten Handzettel, Umschläge, Hefter, Briefmarken und Schachteln mit Gummibändern auf jede
    verfügbare Fläche.
    Aus allen Lebenssparten, aus dem ganzen Staat rekrutierten sie sich – einige Männer, viele Frauen, um die dreißig, älter, im Collegealter. Sie hatten bereits die Fassade des Ladens mit gelben Vermißtenanzeigen beklebt und mit Postern, die Joshs Schulkameraden aus der dritten Klasse gezeichnet hatten: Sie baten Josh nach Hause zu kommen, als könnte ihn die Kraft ihres gemeinsamen Appells zurückbringen. Fast jeder Laden in der Stadt wies dieselbe Schaufensterdekoration auf.
    »Wir könnten auch mit dem National Center for Missing and Exploited Children, Minnesota, kommunizieren«, fuhr der Professor fort. Er trug einen schwarzen Daunenparka, der ihn zu verschlucken drohte, über seine Ohren hochkroch; Priest rammte die Hände in die Taschen und zog ihn energisch runter.
    »Wie könnten uns in eine Reihe stellen und Stiftungen für vermißte Kinder im ganzen Land einklinken. Es ist erstaunlich, wie viele es da gibt. Tragisch, sollte ich eher sagen. Scheinbar wird für jedes Kind, das im Land verschwindet, gleich so eine Stiftung in seinem Namen gegründet.«
    »Hoffen wir, daß es zu keiner Josh-Kirkwood-Stiftung
    kommt«, knirschte Megan.
    »Ja, hoffen wir’s.« Er seufzte, trennte sich mit einiger Mühe von dem Bild auf seinem Monitor und blinzelte sie durch seine übergroße Brille an. »Kann ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten, Agent O’Malley? Heißen Cider, heißen Tee? Es besteht kein Mangel an freiwilligen Nahrungsmittellieferanten.«
    »Cider wäre wunderbar, danke.«
    Sie folgte ihm zu einem langen Tisch im hinteren Teil des 250
    Raums, wo alle nährenden Spenden aufgestellt waren, und nahm dankbar eine Tasse mit dampfendem, gewürztem Cider
    entgegen. Die Hitze strahlte durch die Tasse und ihre
    Handschuhe bis zu ihren Fingern, die vor Kälte ganz brüchig waren. Sie sah sich in dem Raum um, der vor Freiwilligen überquoll, Menschen, die ihre Zeit, ihre Talente, ihre Herzen und ihr Geld gaben für Josh. Ein Konto für die Belohnung war bereits eingerichtet worden, und Spenden flossen aus dem ganzen Upper Midwest ein, von Einzelpersonen, von
    Bürgergruppen, Geschäften.
    Bei der letzten Zählung waren es bereits über 50000 Dollar gewesen.
    Ein Tisch Freiwilliger verbrachte die Zeit damit, die neueste Belohnung auf Stapel von Handzetteln zu drucken. Ein weiterer Tisch adressierte und tütete Umschläge ein, der nächste sortierte die Pakete nach Postleitzahlen und füllte sie in Säcke fürs Postamt. Die Handzettel gingen an Polizeibehörden, Bürger-organisationen, Geschäfte und Schulen, wo man sie verteilen und in Fenster, auf schwarze Bretter und an Lichtmasten kleben, unter jede Windschutzscheibe quer durchs Land stecken

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