Sünden der Nacht
Boß, Rudy Stovich, mochte zwar derjenige gewesen sein, der der Presse sagte, sie würden diesen Fall mit allen Rechtsmitteln verfolgen, aber die meiste Arbeitslast würde auf Ellen entfallen.
Stovich war mehr Politiker als Staatsanwalt, Mitchs Meinung nach im Gericht ein ungeschickter Tölpel. Damit konnte er vielleicht in einem ländlichen Bezirk durchkommen, wo es kaum nennenswerte Verbrechen und nur wenige Anwälte zur Auswahl gab. Die brillanteren wanderten in die Twin Cities ab, wo es mehr Action gab, mehr Geld und mehr Gerichte. Die Leute von Park County hatten verdammtes Glück mit Ellen North.
Sie saß hinter ihrem Schreibtisch und aß ein Truthahnsandwich. Ihr helles blondes Haar hatte sie ordentlich mit einer Schildpattspange zusammengerafft. Sie war fünfunddreißig, herzverpflanzt von der Justiz von Hennepin County – oder wie Ellen es manchmal ausdrückte, von dem wunderbaren Minneapolis-Irrgarten der Justiz -, wo sie den Ruf einer eisenharten Anklägerin genoß. Das gewaltige Arbeitspensum, die Bürokratie, das Mitspielen und das wachsende Gefühl, auf verlorenem Posten zu stehen, da die Verbrechensrate in den Twin Cities unaufhaltsam wuchs, hatten sie zermürbt, und so hatte sie sich für den relativen Frieden und die ›Beschaulichkeit‹ von Deer Lake entschieden.
»Ihr könnt drauf wetten, daß Sewek einen anderen Verhandlungsort verlangt«, sie wischte sich die Finger an einer Papierserviette ab.
»Und ihr könnt drauf wetten, daß er den kriegt – vorausgesetzt, wir haben genug Beweise für eine Anklage. Hat sich bei der Durchsuchung
irgend etwas ergeben? Eigentum von Josh? Irgend etwas im Van – Haare, Fasern, Blut?«
»Sie haben das Innere des Vans mit Luminol ausgesprüht und hinten auf dem Teppich ein paar Blutflecken gefunden«, sagte Megan. »Aber zu diesem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, ob es menschliches Blut ist, ganz zu schweigen davon, ob es von Josh Kirkwood ist. Die gerichtsmedizinischen Ergebnisse kriegen wir erst in zwei Tagen. Im Haus haben wir nichts gefunden, was Olie direkt mit dem Verbrechen in Verbindung bringt.
Erste Ergebnisse von den Fotos, die wir gestern abend gefunden haben, besagen, daß sie älter als fünf Jahre sind. Sie stammen aus einer Kodak-Instant-Kamera, für deren Filme Kodak Mitte der achtziger Jahre die Produktion einstellen mußte, auf Grund eines Urteils, das Polaroid gegen die Firma erwirkt hat. Was heißen könnte, daß Olie sie wahrscheinlich mitgebracht hat, als er hierherzog. Bis jetzt ist in seinen Büchern nichts gefunden worden. Keiner hat es geschafft, Zugriff auf seine Dateien im Computer zu erwischen; er hat alle möglichen Fallen eingebaut, um das zu verhindern.«
»Und er redet nicht.« Ellen sah Mitch an. »Kann deine Zeugin den Van identifizieren?«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht einwandfrei.« »Also treten wir auf der Stelle.« Sie nippte an einer Dose Himbeersoda und schüttelte den Kopf. »Wollen wir hoffen, daß die Jungs vom Labor etwas finden, und zwar schnell. Die Öffentlichkeit mag ja bereit sein, ihn zu verurteilen, aber wir haben für einen Prozeß nicht genug in der Hand. Da Paige Price nicht der Richter ist, erreichen wir mit unseren Indizien gar nichts.«
Mitchs Miene wurde grimmig, als Paige Price’ Name fiel. »Welche Chance haben wir für eine Anklage wegen Behinderung für die Nummer, die sie gestern abend abgezogen hat?«
Ellens Miene sah nicht sehr ermutigend aus. »In den letzten Jahren ist es ein- oder zweimal versucht worden, aber in diesem Fall wäre es fast unmöglich, ihr etwas nachzuweisen. Es müßte einwandfrei feststehen, daß Josh auf Grund ihrer Einmischung Schaden erlitten hat. Medienleute können sich in unser wohlfeiles Recht auf Aussageverweigerung einhüllen und sind eigentlich zu allem bereit. Wenn du eine geheime Absprache zwischen Paige und Steiger beweisen könntest, hättest du was in der Hand. Aber das ist praktisch unmöglich, außer
einer von den beiden war dumm genug, das Gespräch aufzunehmen oder es vor einem Zeugen zu führen.«
»Dann haben wir nichts«, sagte Mitch. Die Ungerechtigkeit fraß sich wie Säure in seinen Magen.
»Und Paige Price hat die Story der Woche. Wieder einmal.«
19 Uhr 16, -34 Grad, Windabkühlungsfaktor: -52 Grad
Paige setzte sich in einen Stuhl neben eine untersetzte Frau mit einem humorlosen, ungeschminkten Mund und braunen Haaren, die von einer Pudelmütze plattgedrückt waren.
»Mrs. Favre, Sie erzählten mir, Sie hätten schon vor langer
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