Sünden der Nacht
Schluchzen zu unterdrücken.
»Willst du damit auf meine Passivität anspielen«, flüsterte sie. »Ich bin nicht aus freien Stücken in diesem Haus. Willst du hier bei Lily bleiben und darauf warten, daß das Telefon klingelt? Ich tausche nur zu gern mit dir.«
Paul rieb sich die Stirn. »Das hab ich nicht gemeint«, behauptete er, obwohl er genau wußte, daß dem so war. Er hatte ihr weh tun wollen, weil es alles ihre Schuld war. Wenn Hannah und ihr ach so wichtiger Beruf nicht gewesen wären … Hannah hier, Hannah dort, Hannah überall …
Megan beobachtete die beiden. Sie war nur ungern Zeuge von etwas, das unter vier Augen geregelt werden sollte.
»Mr. Kirkwood«, sagte sie und lenkte ihn so von seiner Frau ab. Sie wollte die Spannung zwischen den beiden entschärfen und sie an die Aufgabe, die sie hier hatten, erinnern. »Sie sagen also, Sie kennen niemanden mit einem Van, der dieser allgemeinen Beschreibung entspricht – achtziger Modell, Lieferwagen, beige oder hell lackiert?«
Er schüttelte gedankenverloren den Kopf. »Nein, wenn mir jemand einfällt, ruf ich Mitch an.«
»Tun Sie das.« Sie ignorierte, daß er sie dabei ostentativ übergangen hatte. Es spielte keine Rolle, solange die Arbeit gemacht wurde. Ohne ein Wort an seine Frau wandte Paul sich ab und ging. Die Spannung ließ die Luft vibrieren, während sie seinen Wagen aus der Einfahrt stottern hörten. Hannah schloß die Augen und preßte die Handrücken dagegen. Karen Wright kam mit weitaufgerissenen Augen herein. Bambi im Scheinwerferlicht, dachte Megan. Wie konnte er nur so eine häßliche Szene vor den Nachbarn abziehen!
»Ich weiß, daß das sowohl für Sie als auch für Paul schwer ist«, sagte Megan zu Hannah. »Und diese Spur mag sich ja mickrig anhören, so vage wie sie ist. Verständlicherweise fühlt er sich nützlicher, wenn er an der Suche nach Josh teilnimmt …«
»Natürlich fühlt Paul sich dadurch nützlicher«, sagte Hannah spitz.
»Außerdem bin ich überzeugt, daß es nichts gibt, wobei man sich nutzloser vorkommt, als bei dieser Herumhockerei im Haus, wo einen den ganzen Tag lang jemand anstarrt.«
Karen blinzelte mit ihren Rehaugen und schlug sie dann beleidigt nieder. »Wenn ich schon keine Hilfe bin, sollte ich vielleicht gehen.« »Vielleicht solltest du das.«
Hannah bereute die Worte, kaum daß sie sie ausgesprochen hatte, Karen meinte es ja gut. Jeder, der bis jetzt ins Haus gekommen war, hatte es gut gemeint. Joshs Verschwinden griff in gewisser Weise in ihrer aller Leben ein. Sie versuchten doch nur, damit fertig zu werden, versuchten ihr zu helfen, damit fertig zu werden. In Wirklichkeit jedoch konnte man damit nicht fertig werden. Sie war in der Lage, mit der Notaufnahme zu Rande zu kommen, mit all dem Streß Beruf und Familienleben auszubalancieren, aber für das hier gab es kein Rezept. Sie konnte damit nicht umgehen und konnte an nichts anderes denken. Die wohlmeinenende Hände, die sich ihr entgegenstreckten, hielten sie nur noch mehr in diesem Alptraum gefangen.
Karen hatte ihren Mantel in der Hand und war schon halb auf dem Flur. Hannah stöhnte und rannte ihr nach. Das Bedürfnis, sie zu versöhnen, war stärker als ihre tieferen Emotionen.
Megan schaute hinterher und ließ sich all diese neuen Stücke des Puzzles durch den Kopf gehen – vor allem die Spannung zwischen Hannah und Paul. Alle köchelten sie in einer Art Dampftopf. Megan nahm an, daß selbst eine gute Beziehung in einer solchen Situation unter Druck geraten würde, aber sie hätte erwartet, daß sich Mann und Frau einander zuwenden würden, weil jeder die Unterstützung des anderen brauchte. Hier geschah das Gegenteil. Der Druck drohte Hannah und Paul zu zerquetschen, und offensichtlich war ihre Beziehung am Bersten, wie eine Eierschale. Die Seite aus Joshs Notizbuch fiel ihr ein – drohende Gewitterwolken und grimmige Menschen. Dad ist böse. Mom ist traurig. Ich fühl mich schlecht …
Instinktiv schob sie Paul Kirkwood die Schuld zu. Er hatte eine Aura, die bei ihr zweifellos Unbehagen hervorrief. Egoistisch, von sich eingenommen – genau wie ihr Bruder Mick, wurde ihr klar. Aber es war nicht nur diese Ähnlichkeit, die ihr sauer aufstieß. Sie war hergekommen, um ihm zu erzählen, daß sie die erste wirkliche Spur hatten, und er nahm sich nicht einmal die Zeit, sich das anzuhören. Lieber wollte
er draußen im Gelände sein, wo die Fernsehkameras den gramgebeugten Vater in Aktion einfangen konnten.
Etwas zupfte an
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