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Sündenfall: Roman (German Edition)

Sündenfall: Roman (German Edition)

Titel: Sündenfall: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anya Lipska
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könnten.«
    Er stand auf. »Da kann ich Ihnen natürlich helfen. Wir führen Akten über alle Studenten, obwohl ich sie natürlich noch nie unter so traurigen Umständen zu Rate ziehen musste.« Auf der anderen Seite des Raums befanden sich drei Aktenschränke. Er ging zum dritten, öffnete die unterste Schublade und kehrte mit einer dünnen blauen Mappe voller loser Blätter zurück.
    Darin befand sich das Foto eines Mädchens, mit einer Büroklammer an ein Blatt Papier geheftet. Kershaw betrachtete es. Dass Elzbieta Wronska das Mädchen war, das nun im Leichenschauhaus in Wapping lag, stand eindeutig fest. Das Foto zeigte sie, einen Fuß auf einen Zaun gestützt, auf einer Landstraße, eine unverkennbar englische Szene. Das rötliche Laub der Hecke hinter ihr passte zu ihrem von hinten beleuchteten kupferroten Haar. Elzbieta war keine Schönheit im konventionellen Sinne gewesen, hatte aber ein offenes Lächeln und eine frische Ausstrahlung, die einen an Eimer mit sahniger Milch und sonnendurchflutete Wiesen denken ließ.
    »Hat sie nicht eine hübsche Haarfarbe?«, meinte Kershaw.
    Die Bemerkung brachte den Monsignore zum Erröten. Hoppla , dachte sie. Vielleicht durfte man so etwas in Gegenwart eines katholischen Priesters ja nicht aussprechen. Aber er erwiderte nur: »Ja, vermutlich schon« und strich die schwarze Soutane über seinen Knien glatt. Die Schuhe, die unter dem Gewand hervorlugten, waren, wie Kershaw auffiel, gut gearbeitet und blitzblank. Seine Socken hatten denselben dunkelrosa Farbton wie seine Knöpfe. Ein richtiger Dandy , hörte sie ihren Vater mit einem Zwinkern sagen. Plötzlich fragte sich Kershaw, ob der Monsignore womöglich schwul war.
    Als sie weiter die Akte durchblätterte, stieß sie auf einen Artikel aus einer ausländischen Zeitung, begleitet von einem Foto in Schwarzweiß, das vermutlich das College-Orchester darstellte. Elzbieta befand sich links im Bild, kerzengerade, mit ernster Miene und mit einer Geige unter dem Kinn. Die Hand, die den Bogen führte, war in Bewegung, ihr Blick auf den Dirigenten gerichtet, der der Kamera den Rücken zukehrte. Und ihr mehr oder weniger gegenüber saß Timothy Lethbridge. Ein Cello zwischen den Knien und den Bogen schlaff in der Hand, wartete er auf seinen Einsatz. In dem Moment, als der Auslöser betätigt worden war, sah er Ela direkt an, und das Foto hatte seinen Gesichtsausdruck eingefangen: liebeskranker Welpe . Der Monsignore selbst beobachtete von der letzten Reihe des Orchesters aus die Szene.
    Die Akte enthielt noch ein halbes Dutzend weiterer Zeitungsausschnitte. Kershaw beherrschte die Sprache zwar nicht, konnte sich aber denken, worum es ging.
    »Also war Elzbieta mit dem College-Orchester in Polen?«, fragte sie und zeigte ihm den Artikel.
    Er warf einen Blick darauf. »Ja, Elzbieta war eine begnadete Geigerin. Sie hätte Karriere machen können, wenn sie gewollt hätte«, erwiderte er. »Im letzten Jahr haben wir eine Konzertreise durch Europa veranstaltet, die Auftritte in Polen waren ein besonderer Erfolg. Wir haben einige Tausend Pfund für die Wohltätigkeitsarbeit der Kirche eingespielt. Sicher wissen Sie, dass die Polen ein sehr musikalisches Volk sind – und natürlich auch ein sehr gläubiges.«
    »Wie ich sehe, war Timothy Lethbridge auch dabei?«, hakte sie nach.
    »Ja, in der Tat«, antwortete er. »Nicht in derselben Liga wie Elzbieta, aber dennoch ein guter Cellist.«
    Kershaw klappte die Akte zu. »Wenn Sie sie mitnehmen möchten, bitte sehr«, verkündete er, bevor sie ihn darum bitten konnte.
    »Danke. Soweit ich informiert bin, ist Ms Wronskas Adoptivmutter ebenfalls verstorben. Deshalb hoffe ich, hier einen Hinweis auf Angehörige zu finden.«
    »Halten Sie uns auf dem Laufenden?«, fragte er mit flehendem Blick. »Es wird uns eine Ehre sein, den Trauergottesdienst abzuhalten – natürlich nur, falls Elzbietas Familie einverstanden ist.«
    Kershaw nickte und erhob sich.
    »Ich würde mir gern rasch Elzbietas Zimmer anschauen, bevor ich gehe. Ich melde mich später noch einmal, wenn ich weiß, ob es von der Kriminaltechnik untersucht werden muss.« Er sah sie verdattert an. »Spurensicherung«, erklärte sie.
    Der Monsignore zeichnete einen Lageplan des Campus auf ein Stück Papier, damit sie das Wohnheim fand, und schrieb den Zugangscode dazu. »Ich rufe den Hausmeister an und bitte ihn, Sie zum Zimmer zu begleiten«, sagte er, als sie zur Tür gingen.
    Auf dem Weg zum Wohnheim ließ Kershaw ihre Begegnung mit

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