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Sündenfall: Roman (German Edition)

Sündenfall: Roman (German Edition)

Titel: Sündenfall: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anya Lipska
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nach den Ereignissen des gestrigen Tages keinen Schlaf gefunden hatte, hatte er die ganze Nacht bei elektrischem Licht gekocht und war erst kurz vor Morgengrauen auf dem Sofa eingeschlafen.
    »Das schmeckt echt saugut«, murmelte Oskar. Allerdings beobachtete Janusz, dass er geistesabwesend ein Stück Toblerone hinterherschob, bevor er das kotlet vollständig heruntergeschluckt hatte. Er verdrehte die Augen zum Himmel. Oskar mochte seine Kochkünste zwar zu schätzen wissen, hätte es aber niemals in die Jury einer Kochsendung geschafft.
    Nach dem Essen räumten sie die Reste von Oleks Sargdeckel und fingen ernsthaft mit dem Trinken an.
    »Hast du dich je gefragt, was wir verdammt noch mal mit unserem Leben machen?«, wollte Oskar plötzlich wissen.
    »Was meinst du damit?«
    »Na, dass wir im Ausland arbeiten, unter Fremden leben, vielleicht sogar irgendwann unter Fremden sterben .« Er wies mit dem Kopf auf den Sarg und bekreuzigte sich. »Dieser Mist eben.« Als er die Hand nach der Wodkaflasche ausstreckte, platzten lautstark die Bläschen der Luftpolsterfolie unter ihm. »Als wir jung und beim Militär waren, dachte ich, wenn ich eine Wohnung kriege, heirate und einen Job finde, mit dem ich genug verdiene, würde ich glücklich werden. Wenigstens hatte unter den Kommies jeder einen Job. Und was würden wir jetzt zu Hause verdienen? Einen Dreck.«
    »Schwachsinn«, entgegnete Janusz. »Ich habe dieses Gerede, die Kommies haben sich um die Menschen gekümmert, und alle hatten Arbeit , wirklich satt. Bei den meisten Jobs hat man doch schon damals fast nichts verdient, wenn man kein Parteibonze war und Bestechungsgelder kassiert hat.« Er zog an seiner Zigarre. »Außerdem warst du immer derjenige, der irgendwelche wahnwitzigen Geschäftsideen ausgebrütet hat.«
    Oskar seufzte zustimmend und grinste dann. »Weißt du noch, wie wir die Levi’s von Jugoslawien nach Moskau geschmuggelt haben?«
    »Ja, ich erinnere mich«, erwiderte Janusz mit einem bedauernden Grinsen. »Ich fasse bis heute nicht, warum ich mich von dir habe weichklopfen lassen. Ein Wunder, dass wir nicht in irgendeinem verdammten Gulag gelandet sind und bei Kohlsuppe zuschauen mussten, wie uns der Schwanz abfriert.«
    Sie hatten den Militärdienst gerade hinter sich gehabt und sich ein Zimmer in einer heruntergekommenen Pension in Warschau geteilt. Selbst damals hatte Oskar schon einen Riecher für Gelegenheiten zum Geldverdienen gehabt. Da der Kommunismus jegliches normale Wirtschaftsleben im Keim erstickt hatte, gab es in den Läden nur den Schrott aus den »Bruderländern«, den niemand haben wollte. Doch weil die Polen ziemlich viel Reisefreiheit genossen, florierte der Handel mit Schmuggelware. Janusz war lange standhaft geblieben, aber irgendwann hatte Oskar ihn doch überzeugt: Schließlich ginge es nicht nur um viel Geld, sondern sei praktisch eine patriotische Pflicht, den Kommies eins auszuwischen.
    »Und du hast mich auf eine gottverdammte Bibel schwören lassen, dass ich dir, wenn du mitkommst, eine Aufnahme von dem Stück besorgen müsste, auf das du damals so gestanden hast.« Oskar runzelte die Stirn. »Das mit der Tunte, die so hoch singt.«
    Bohemian Rhapsody von Queen. Seit dem aufregenden Moment, als Janusz das Stück zum ersten Mal auf dem Transistorradio eines Freundes auf Radio Luxemburg gehört hatte – mit fünfzehn oder sechzehn? –, war es bei ihm zu einer fixen Idee geworden, eine Aufnahme in die Hände zu bekommen.
    »Ich erinnere mich nicht«, sagte er.
    »Aber du weißt schon noch, dass wir mit dem Nachtzug nach Belgrad gefahren sind«, meinte Oskar und wackelte spöttisch mit den Augenbrauen.
    Die beiden hatten sich bei ihren Freunden das nötige Geld zusammengepumpt und sich, bewaffnet mit einem Zettel, auf dem die Adresse eines Schwarzhändlers stand, in den Zug gesetzt.
    Oskar kippte noch einen Schluck Wodka hinunter und grinste breit. »Jedes Mal, wenn du gehört hast, dass die milicja kommt, um die Pässe zu kontrollieren, hast du ›Ganz unauffällig! Ganz unauffällig!‹ geflüstert«, fügte er mit künstlich hoher Stimme hinzu. »Und du hast ständig gedroht, das Stück Papier zu schlucken …« – er konnte sich vor Lachen kaum noch halten –, »damit … damit … es nicht dem Feind in die Hände fällt!« Brüllend vor Gelächter, schlug er sich auf die Schenkel und hatte Tränen in den Augen.
    Janusz erinnerte sich nur noch an die nackte Angst davor, was aus seiner Mutter werden sollte, falls er

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