Sündenfall: Roman (German Edition)
schien er sich ein wenig beruhigt zu haben.
»Hören Sie, Timothy«, sagte sie, sobald sie wieder saß. »Ich frage Sie das ja nur ungern, aber wissen Sie vielleicht, ob Elzbieta jemals Drogen genommen hat – weichere, so wie Ecstasy?«
»Warum? War es eine Überdosis?«, erkundigte er sich mit weit aufgerissenen Augen.
»Ja, ich fürchte schon.«
Er starrte in seinen Plastikbecher. »Elzbieta ist der letzte Mensch, dem ich unterstellen würde, dass er Drogen nimmt«, antwortete er. »Sie sagte immer, dass sie von mehr als einem Glas Wein Schluckauf bekäme.« Ein leichtes Lächeln spielte um seine Mundwinkel.
Timothy berichtete, Elzbieta sei vor einigen Monaten dreißig geworden – sie seien aus diesem Anlass mit einigen anderen Studenten in ein nahe gelegenes Asia-Lokal gegangen, was selten vorkam. Elzbieta habe seit ihrem elften oder zwölften Lebensjahr in England gewohnt und sei von einer Tante großgezogen worden, die sie adoptiert habe, nachdem ihre beiden Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen seien.
»Dann ist die Tante ihre nächste Verwandte?«, erkundigte sich Kershaw.
»Nein, sie ist leider vor einigen Monaten gestorben. Elzbieta ist sofort nach Hause gefahren, das ist irgendwo in Kent, und erst nach der Beerdigung zurückgekommen. Sie war völlig fertig.« Gedankenverloren schüttelte er den Kopf.
»Ihre Reaktion hat Sie offenbar überrascht«, stellte Kershaw fest.
»Wahrscheinlich, weil ich sie noch nie in diesem Zustand erlebt hatte. Sie war sonst immer so glücklich und so …« – er blickte sich um und suchte nach dem richtigen Wort – »stabil. Einmal hat sie mir erzählt, sie habe nach dem Tod ihrer Eltern ziemlich schlimme Dinge erlebt, aber letztlich habe sie auf diese Weise gelernt, sich durchzuschlagen.« Er umfasste seinen Becher und blickte auf die Tischplatte.
Kershaw knabberte diskret am Überrest des Nagels am kleinen Finger. Aus der Art, wie Timothy über Elzbieta sprach, und seiner Reaktion auf das Foto schloss sie, dass die beiden mehr als nur Freunde gewesen waren.
Sie beugte sich vor. »Sie hatten Elzbieta wirklich gern, richtig?« Er nickte. »Hatten Sie beide eine … romantische Beziehung?« Sie brachte es nicht über sich, es sachlicher auszudrücken.
»Nein, wir waren nur gut befreundet.« Allerdings wich er ihrem Blick aus.
»Sind Sie sicher?«, hakte sie nach. »Sie wollten nie mehr als eine Freundschaft?«
»Meinetwegen!«, brach es aus ihm heraus, und er errötete. »Ich habe sie ein- oder zweimal gefragt, ob sie mit mir ausgehen will, aber sie … hat abgelehnt.«
Mit seinem blonden Haarschopf und den geröteten Wangen erinnerte er an einen zornigen Chorknaben.
»Sie sagte, sie habe kein Interesse an einem festen Freund«, antwortete er, wobei er vergeblich versuchte, sich seinen Ärger nicht anmerken zu lassen.
Kershaw trank ihren Tee und musterte Timothy über den Rand ihres Bechers hinweg. Eigentlich war er nicht unattraktiv, hatte aber leider etwas Mädchenhaftes an sich, sodass Frauen in ihm immer eher den Kumpel als den Liebhaber sehen würden. Offenbar hatte Elzbieta versucht, es ihm schonend beizubringen. Vielleicht war das stundenlange Lesen in ihrem Zimmer ja nur eine Tarnung für ihr heimliches Verhältnis mit dem unbekannten Pawel gewesen, dessen Name auf ihrem Po prangte, wo niemand ihn sehen konnte.
Kershaw kippte ihren restlichen Tee hinunter und verstaute das Notizbuch in ihrer Tasche. »Ich werde mit dem Rektor sprechen müssen, Timothy«, sagte sie. »Ich nehme an, er weiß, dass Elzbieta verschwunden ist?«
Er verfiel in Schweigen und nestelte am Armband seiner Uhr herum. »Ich habe es gegenüber den Mitarbeitern des Colleges noch nicht erwähnt«, antwortete er schließlich.
»Darf ich fragen, warum?«, erkundigte sie sich, ohne die Augen von seinem Gesicht abzuwenden.
Er zuckte die Achseln. »Nun … sie ist Doktorandin und kann kommen und gehen, wie es ihr passt. Ich wollte keinen Aufstand machen, wenn sie vielleicht einfach nur nach Polen gefahren ist, um zu recherchieren oder so.«
Kershaw rechnete rasch nach. Er hatte dem Dozenten verschwiegen, dass sich die beste Freundin vor fast zwei Wochen in Luft aufgelöst hatte? Das war seltsam. Andererseits hatte er vielleicht noch immer daran zu knacken, dass Elzbieta ihm einen Korb gegeben hatte, und wollte deshalb unangenehmen Fragen aus dem Weg gehen.
»Gut. Dann werde ich mal mit diesem Monsignore Zielinski reden«, verkündete sie und schob ihren Stuhl zurück.
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