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Sündenfall: Roman (German Edition)

Sündenfall: Roman (German Edition)

Titel: Sündenfall: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anya Lipska
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geblendet war. Von Elzbieta Wronskas Zimmer bis zur Themse waren es mitnichten fünf Minuten: Wenn der Fluss noch ein Stückchen näher gewesen wäre, hätte man sich nasse Füße geholt.
    Erschaudernd vor Aufregung und mit einem so heftigen Herzklopfen, dass es ihr in den Ohren dröhnte, öffnete sie vorsichtig, um keine Fingerabdrücke zu verwischen, die Balkontür und trat hinaus auf den winzigen Balkon. Während über ihrem Kopf eine einsame Möwe kreischte, wuchtete Kershaw eine imaginäre Leiche von ihrer Schulter aufs Geländer und warf sie zehn Meter tief ins dunkle Wasser.

SECHZEHN
    D as Wasser der Nordsee schwappte schäumend gegen den Rumpf der Fähre, und das Licht eines platinfarbenen Mondes spiegelte sich in der rauen schwarzen See. Janusz schnippte seine Zigarre in die Wellen und knöpfte sich den Trenchcoat zu, um den Wind abzuhalten. Wo zum Teufel steckte Oskar? Vor über einer halben Stunde war er in die Bar gegangen. Er hatte eine Cola kaufen wollen, weil sie Plastikbecher brauchten, um das hinten im Transporter gebunkerte Bier zu trinken. Janusz fragte sich, ob sein Freund wohl in Schwierigkeiten geraten war. Vorhin hatten sie an Bord einige Gruppen von Engländern mit streitlustigen Mienen bemerkt. Vermutlich waren die Männer unterwegs zum Spiel Brondby gegen Liverpool in Kopenhagen und machten den Eindruck, als hätten sie nichts gegen eine Prügelei einzuwenden – allerdings doch sicher nicht, ehe sie nicht mindestens sieben oder acht Biere intus hatten.
    Im nächsten Moment öffnete sich die Tür, die von der Bar zum Deck führte, und ein Schwall von Lärm wehte heraus. Oskars gedrungene Gestalt erschien auf der Schwelle. Er hielt die Tür mit einem Fuß auf und näherte sich – vorsichtig, um die Sachen, mit denen er beladen war, nicht fallen zu lassen – der Reling, wo Janusz stand. Er trug einen Liverpool-Schal um den Hals und summte ein Lied vor sich hin, das Janusz, als er dicht genug herangekommen war, als »You’ll Never Walk Alone«, die Hymne des Vereins, erkannte.
    »Oskar, was zum Teufel hast du getrieben?«, fragte Janusz, während er die Flasche teuren Wodka unter dem rechten Arm seines Freundes und die gewaltige Toblerone unter seinem Kinn vor dem Absturz rettete. »Ich dachte, du wolltest nur Becher holen.«
    Oskar zog eine Augenbraue hoch und bemühte sich um eine geheimnisvolle Miene: »Vielleicht bist du nicht der einzige Schlaumeier hier.« Auf Janusz’ abfälliges Schnauben griff er in die Tasche seiner Jacke und förderte mit einer theatralischen Bewegung ein Bündel Geldscheine zutage.
    »Fünfhundert Pfund. Jackpot«, jubelte er, schwenkte das Geld unter der Nase seines Freundes und führte einen kleinen Freudentanz auf. »Du hättest es sehen sollen, Janek! Ich hatte drei Bar-Symbole, und dann kam die Glückssträhne. Es waren so viele Jetons, dass der Barmann den Kassierer holen musste, um alles in Geld umzutauschen!«
    Janusz zupfte an dem rotweißen Schal. »Und das da? Ich dachte, du bist für West Ham.«
    Oskar zuckte verlegen die Achseln. »Einer der Liverpooler hat ihn mir geschenkt, nachdem ich eine Lokalrunde geworfen hatte.«
    »Ja? Ich wette, das hat ein ganz schönes Loch in deinen Gewinn gerissen«, schimpfte Janusz.
    »Ach, was soll der Scheiß? Es war Geld umsonst!« Oskar hüpfte von einem Fuß auf den anderen. »Dieser Wind pustet mir noch die Eier weg. Lass uns feiern gehen.«
    Eine Stunde später saßen die beiden Freunde im Schneidersitz auf zusammengefalteter Luftpolsterfolie hinten im Transporter und tranken aus Plastikbechern. Oskar den guten Wodka und Janusz das Budvar aus der Flasche. Dann öffnete Janusz einen Tupperware-Behälter und breitete den am Abend zuvor zubereiteten Imbiss auf Oleks Sarg aus. Er und Oskar hatten debattiert, ob es pietätlos sei, den Sarg als Esstisch zu benutzen, doch sie waren sich rasch einig geworden, dass der Verstorbene nichts dagegen haben würde, denn schließlich waren es leckere polnische Gerichte.
    »Außerdem haben die Ägypter ihren Königen sogar Essen und Trinken ins Grab mitgegeben«, verkündete Oskar mit wissender Miene. »Damit sie auf dem Weg in den Himmel nicht verhungern und verdursten. Das habe ich in einer Sendung im Discovery Channel gesehen.«
    Janusz arrangierte Scheiben von wiejska und Essiggurken auf einem Stück gebuttertem hellen Roggenbrot und hielt inne, um zuzusehen, wie Oskar den ersten Bissen des hausgemachten kotlet , gefüllt mit Ziegenkäse und Kräutern, kostete. Da Janusz

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