Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)
weil althergebrachte Gottesdienste schlecht besucht werden …»
Sie unterbrach sich. Erneut war ihr eine Stelle aus Stookes Buch eingefallen. Sie sah den Text vor sich wie eine Fotografie.
Das Christentum hält sich nur noch wegen der allgemeinen geistigen Trägheit, die in den Gemeinden herrscht, und wegen seiner ständigen angeblichen Erneuerung durch irgendwelchen Mischmasch der Kirche von England.
«Außerdem», sagte sie, «ist die Kirche ja nicht nur für die Gottesdienste da. Oder nur für die Sonntage. Manche Leute kommen lieber allein, setzen sich zum Nachdenken hin oder gehen herum. Wir brauchen Orte, an denen die Leute dazu Gelegenheit haben.»
Er sagte nichts dazu. Merilly blickte zum wolkenverhangenen Himmel auf, als die nächsten dicken Regentropfen auf ihre Wange klatschten.
«Ich muss zurück. Es fängt wieder an zu regnen.»
Sie zog den Reißverschluss ihrer Jacke über dem Priesterkragen zu, als ihr bewusst wurde, was gerade passiert war. Sie zog die Kapuze über den Kopf und tief ins Gesicht, als könnte sie so ihre Gedanken verbergen.
«Es tut mir leid, wenn ich Sie aufgehalten habe, Merrily.»
«Nein, das haben Sie nicht.»
«Es hat mich sehr gefreut, mit Ihnen reden zu können», sagte Mathew Stooke, während es wieder anfing, wie aus Kübeln zu schütten. «Wirklich sehr.»
Merrily rannte im Regen durchs Dorf, bis sie bei der Old Barn Lane langsamer laufen musste, weil das vom Schlamm braun gefärbte Wasser an manchen Stellen beinahe knöchelhoch durch die Straße floss.
Keuchend blieb sie einen Moment am Rand des Gehwegs stehen. Die Kapuze war ihr vom Kopf gerutscht, ihr Haar triefend nass, und Tropfen liefen ihr in die Augen, als sie in die Church Street einbog.
Wenn man Dawkins im Fernsehen sah, spürte man seinen Hohn beinahe körperlich.
Komm
, schien er sagen zu wollen,
hasse mich. Hasse mich, denn du weißt, dass ich recht habe.
Aber Stooke … Stooke war überhaupt nicht so, wie man ihn sich nach seinem Buch vorstellte. Stattdessen war er höflich, rücksichtsvoll und selbstironisch. Bei Gott, sie hatte ihn beinahe sympathisch gefunden. Hatte ihn vermutlich
tatsächlich
sympathisch gefunden.
Sie kam auf den menschenleeren Marktplatz.
Und irgendwie hatte sie Mathew Stooke erlaubt, sie zu interviewen. Merrily war schon ein paarmal von Journalisten interviewt worden; alle interessierten sich für das Amt für spirituelle Grenzfragen. Und was später geschrieben worden war, klang zwar manchmal zynisch, war aber für gewöhnlich fair.
Aber Stooke schrieb keine Artikel, er schrieb Bücher, und fair war er auch nicht. Bliss hatte gesagt:
Er will Ruhe, um sein nächstes … keine Ahnung, welchen Scheiß er gerade zusammenschreibt
. Sogar Lol hatte ihr geraten, Stooke aus dem Weg zu gehen. Aber das konnte sie nicht, oder? Sie hatte seine Anwesenheit persönlich genommen.
Da gibt es so unendlich viele Provinznester auf der Welt … und ausgerechnet Ihres müssen die sich aussuchen
, hatte Bliss gesagt. Sie hatte einfach zu ihm gehen und einen Selbsttest durchführen müssen.
Und er hatte die Begegnung zu einem Interview umgemünzt. Genau wie seine Frau Jane interviewt hatte.
Merrily hastete in die Einfahrt des Pfarrhauses, an einem geparkten Auto vorbei, dessen Türen sich gerade öffneten. Als sie an der Haustür war, drehte sie sich halb um, während sie in ihrer Tasche nach dem Schlüssel kramte, und stellte fest, dass im trüben Licht des verregneten Nachmittags zwei Leute hinter ihr standen.
Eine Frau mit einer kastigen blauen Fleecejacke und einer blauen Wollmütze und ein blonder Mann Ende zwanzig, der schon seinen Ausweis herausgezogen hatte.
«Mrs. Watkins?»
«Ja?»
« DI Brent, von der Kripo West Mercia. Und das hier ist Detective Sergeant Dowell. Dürfen wir hereinkommen?»
Dowell?
Karen
Dowell? Während sie sich die feuchten Haarsträhnen aus dem Gesicht schob, warf Merrily einen unauffälligen Blick auf die Frau. Sie war untersetzt, hatte rote Wangen und war schätzungsweise Mitte dreißig. Sie war Bliss Rückendeckung, oder? Bliss sprach nur gut von Karen. Und doch …
Sie lächelte nicht, wirkte sogar angespannt.
Wenn im Film ein Polizist
Dürfen wir hereinkommen?
sagte, hatte das nie etwas Gutes zu bedeuten.
27 Epiphanie
Als Jane aus dem Bus stieg, regnete es nicht mehr so stark, und sie rannte sofort zum Friedhof hinüber. An Lucys Grab legte sie die Hände auf den Grabstein und spürte, wie die Energie ihre Arme hinaufstieg.
Alles an seinem
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