Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)
verbreiteter Irrtum, Mrs. Rubens.»
«Und jetzt heißt es auch noch, dass dieser Vertreter des Bezirksrats von einer Sekte umgebracht wurde …»
«Einer Sekte?»
«Haben Sie heute noch keine Zeitung gelesen?»
Amanda schlug unter den bunten Lämpchen den
Guardian
auf und deutete auf einen Artikel auf der Titelseite.
Das altbekannte Bild von Clement Ayling. Und eine idyllische Farbaufnahme des Dinedor Hill.
Oh Gott.
Wilford Hawkes war vollkommen kahl, hatte aber einen weißen Bart, der ihm bis auf die Brust reichte, und er trug einen einzelnen Ohrring mit einem roten Stein. Er übertraf beinahe noch die Klischeevorstellung von einem Heiden.
«Sie verstehen mich nicht, oder, meine Liebe?» Seine Aussprache war wesentlich deutlicher als auf dem Anrufbeantworter. «Wir müssen niemanden
umbringen
. Das haben wir gar nicht nötig. Die Leute sorgen schon selbst für ihr Ende. Mit all diesen Baggern schaufeln sie sich ihr eigenes, riesiges Grab.»
«Mr. Hawkes», Annie Howes Stimme. «Ich bin
nicht
Ihre
Liebe
.»
Bliss lächelte. Er hatte sein Auto auf diesem versteckten kleinen Parkplatz jenseits der Hauptstraße tief unter die tropfenden Äste gefahren. Karens Vernehmungsraum- DVD lief auf dem Laptop, den Bliss auf dem Beifahrersitz aufgeklappt hatte.
«Ich sage ja nur», sagte Hawkes, «dass man mit Konsequenzen rechnen muss, wenn man wissentlich eine heilige Stätte beschädigt. Ich könnte Ihnen viele Geschichten von Bauern erzählen, die alte Steine ausgegraben haben oder mit dem Pflug über Hügelgräber gegangen sind. Danach gab es dann unerwartete Blitzentladungen direkt über ihrem Kopf, und dann hatten sie eine Missernte, und das Vieh ist eingegangen.»
«Mr. Hawkes …»
«Ich habe ihm nur eine freundliche Warnung zukommen lassen.»
«Das ist also Ihr Verständnis von freundlich, ja?»
«Na gut, ich habe ein bisschen übertrieben, es war ein bisschen daneben. Ich konnte in dem Moment nicht ganz klar denken.»
«Waren Sie betrunken?»
«Ich trinke keinen Alkohol, meine Liebe. Ich war in einem … sagen wir … durch Kräuter hervorgerufenen Zustand fortgeschrittener Entspannung.»
Mr. Hawkes lehnte sich mit hinter dem Kopf verschränkten Händen zurück. Die Augen hielt er halb geschlossen, und auf seinen Lippen lag ein leichtes Lächeln. War das der Übermut eines Mörders? Allerdings sah es so aus, als würde dieser bescheuerte alte Schrat die Situation sogar genießen.
«
Unfallwracks und Blutlachen
, Mr. Hawkes», sagte Howe. «Damit haben Sie Mr. Ayling gedroht.»
«Ich habe aber nie von
seinem
Blut geredet, stimmt’s? Wir wussten, dass wir eine klare Ansage machen mussten, damit der alte Bastard verstand, wie ernst es uns war. Sie lassen die alte Stadt an allen Ecken und Enden auswuchern und schneiden sie vom Dinedor Hill ab. Und dann, wie aufs Stichwort, zeigt sich nach Tausenden von Jahren die Schlange wieder, um uns zu warnen, und was tun diese Idioten? Sie schütten sie zu. Und was kommt als Nächstes? Wird noch ein Supermarkt obendrauf gebaut? Wo wir doch erst sieben haben?»
«Und Sie sind sicher, dass Sie keinen Anwalt wollen, Mr. Hawkes?»
«Das käme Ihnen gerade recht, oder?» Mr. Hawkes setzte sich aufrechter hin. «Die reden Ihre Sprache, diese Halsabschneider. Meine Devise war schon immer, mit diesen Blutsaugern nichts zu tun zu haben. Man kann sein gesamtes Leben leben, ohne mit einem einzigen Anwalt zu tun zu haben.»
«Das gilt aber möglicherweise nicht für
Ihr
Leben, Mr. Hawkes, so wie es aussieht. Die Kinder der Schlange – wie viele Personen gehören dazu?»
«Gar niemand. Das habe ich erfunden.»
«Was
genau
haben Sie erfunden?»
«Das Ganze. Die Kinder der Schlange. Ich fand, das klingt gut. Überlegen Sie doch mal: Ich rufe Ayling an, sage, hier spricht Willy Hawkes, und ich will Ihnen einfach mal eine Warnung zukommen lassen – was hätte das gebracht? Er hätte mich ausgelacht. Aber
die Kinder der Schlange
, das hat was Bedrohliches. Das funktioniert.»
«Mr. Hawkes, ich muss Sie noch einmal fragen: Haben Sie Clement Ayling umgebracht?»
«Ich
glaub’s
einfach nicht …»
«Bitte beantworten Sie die Frage.»
«Nein, verdammt noch mal! Wenn ich Clement Ayling umgebracht hätte, wäre ich ja kaum so blöd gewesen, ihn vorher anzurufen oder mich mit irgendeinem von diesen kleinkarierten Spießern im Bezirksrat anzulegen.»
«Wenn Sie es nicht waren,
wissen
Sie dann, wer ihn getötet hat?»
«Ich habe schon versucht, es Ihnen klarzumachen: Ich habe
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