Sündenheilerin 03 - Die Reise der Sündenheilerin: Historischer Roman (Sündenheilerin-Reihe) (German Edition)
schwach wahrnehmen. Die Luft war stickig, und zu allem Überfluss machte ihre Blase sich bemerkbar. Natürlich gab es kein Nachtgeschirr, und der Raum war so eng, dass ihr nichts anderes übrig bleiben würde, als in ihren eigenen Ausscheidungen zu schlafen. Noch konnte sie den Drang beherrschen, aber allzu lange würde sie es nicht mehr aushalten. Von draußen hörte sie schrubbende Geräusche und Rasuls fröhliches Pfeifen. Sie stellte sich vor, wie er wohl gerade die Überreste seiner Arbeit aufwischte, und bei dem Gedanken, wie er eine abgeschnittene Nase, Finger und Lippen auffegte, überkam sie ein zwanghafter Lachanfall. Es war so absurd, so aberwitzig, aber sie konnte nicht anders, als immer weiter zu lachen. So lange, bis das Pfeifen draußen verstummte und der Riegel zu ihrer Zelle aufgeschoben wurde.
»Bist du irrsinnig geworden?«, fuhr Rasul sie an.
Thea lachte noch immer, aber beim Anblick des Scheusals kehrte ihre Selbstbeherrschung zurück. Sie sank auf die Knie wie ein Ritter, der den Lehnseid ableistet, und tastete nach dem Messer im rechten Stiefel.
»Großer Meister«, sagte sie, »ich bin beeindruckt von deiner Kunst. Sie hat mir wirklich große Freude bereitet.«
Rasul starrte sie entgeistert an. Da sprang Thea auf, das Messer in der Rechten, und rammte es Rasul in den Kehlkopf. Ohne einen Laut brach er zusammen.
»Und das war das Ende des großen Meisters«, sagte Thea zu sich selbst, zog das Messer zurück, wischte es an Rasuls Kittel sauber und schob es wieder in den Stiefel. Dann zerrte sie den Leichnam in den Verschlag und verriegelte die Tür.
Sie wandte sich der Luke zu. Ob sich dort jemand aufhielt? Sie lauschte. Undeutliche Worte, offenbar auf dem Oberdeck gewechselt, drangen ihr ans Ohr. Sollte sie es wagen, die Luke zu öffnen? Vorsichtig hob sie sie an und spähte in den dunklen Gang. Niemand war zu sehen. Sie stieß die Luke ganz auf und kletterte hinaus.
Ein leichter Ruck ging durch das Schiff. Theas Herz schlug schneller. Genauso hatte es sich jedes Mal angefühlt, wenn der Wind die Segel der Windsbraut erfasst hatte.
Das Schiff legte ab! War Omar noch an Bord? Nein, gewiss nicht – wie sollte er die Stadt in der Wüste mit einem Schiff erreichen? Sie atmete mehrmals tief durch. Nur die Ruhe, dachte sie! Ruhe ist alles. Sie zog das Messer wieder aus der Stiefelscheide und hielt es in der Hand. Noch einmal würde sie sich nicht lebend überwältigen lassen. Mit anzusehen, was Rasul diesem Stallknecht angetan hatte, war schlimm genug. Selbst wollte sie es nicht erleben.
Sie schlich weiter zu einer kleinen Treppe, die nach oben führte. Vielleicht konnte sie sich eine Weile in Omars Schlafgemach verstecken.
Schritte!
Thea drückte sich in eine dunkle Ecke, hielt den Atem an. Ihre Faust krampfte sich um das Messer. Der Mann eilte an ihr vorüber, ohne sie zu bemerken.
Weiter zur Treppe. Stimmen! Verdammt, unmittelbar über ihr sprachen zwei Männer miteinander. Thea verharrte und lauschte. Der eine wollte bald heiraten und sparte für den Brautpreis, den sein künftiger Schwiegervater verlangte. Eine belanglose Unterhaltung! Hoffentlich verschwanden die Kerle bald!
Es verging eine gefühlte Ewigkeit, bis die beiden von ihrem Vormann aufgespürt und an die Arbeit gescheucht wurden. Thea atmete auf. Leise stieg sie die Treppe hinauf. Von hier aus gingen zwei weitere Türen ab. Eine führte in Omars Gemächer, die andere an Deck. Sollte sie wirklich noch länger hier verweilen, während das Schiff sich immer weiter von Alexandria entfernte und sie in eine völlig unbekannte Gegend gelangte? Oder einen schnellen Fluchtversuch wagen? Wenn sie an Deck rannte, wären die Männer vermutlich überrascht und würden sie kaum aufhalten, wenn sie über Bord spränge. Andererseits könnte sie dann auch nicht feststellen, wo sie sich befand. Was, wenn das Schiff längst aufs Meer hinausgesegelt war?
Sei nicht so feige!, ermahnte sie sich. Es ist weitaus gefährlicher, noch länger zu warten.
Omar hatte ihr nicht umsonst erzählt, dass sein Schiff fast ausschließlich auf Flüssen oder nahe der Küste segelte. Und schwimmen konnte sie seit ihrer frühesten Kindheit. Darauf hatte ihr Vater Wert gelegt.
Sie steckte das Messer wieder in die Stiefelscheide, holte noch einmal tief Luft und rannte los. Vorbei an zwei Seeleuten, die so verdutzt waren, dass sie zu keiner Bewegung fähig waren, hin zur Reling. Hinter sich hörte sie Rufe, doch sie achtete nicht darauf. Sie waren noch auf dem
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