Sündenheilerin 03 - Die Reise der Sündenheilerin: Historischer Roman (Sündenheilerin-Reihe) (German Edition)
Nil, vermutlich flussaufwärts ins Landesinnere, denn der Wasserlauf wurde zusehends schmaler. Umso besser. Ein Satz, Thea war auf der Reling und sprang ins Wasser. Die Fluten schlugen über ihr zusammen, verschluckten die überraschten Schreie der Männer.
Das Wasser war nicht so kalt, wie Thea erwartet hatte, im Gegenteil, es war recht angenehm, viel wärmer als die klaren Seen, in denen sie an heißen Sommertagen in ihrer Heimat gebadet hatte. Sie schwamm so weit wie möglich unter der Wasseroberfläche, doch der Nil war kein klarer Bergsee, sondern ein schlammiger Fluss, der ihr die Sicht nahm. Sie tauchte auf. Hinter sich hörte sie die Männer brüllen. Sie waren sich uneins, ob sie das Beiboot zu Wasser lassen sollten oder nicht. Nur zu! Es würde ihnen schwerfallen, sie noch einzuholen, denn mittlerweile hatte sie das Ufer erreicht.
Kinder spielten im Schilf und starrten sie verblüfft an. Thea beachtete sie nicht weiter, sondern verschwand so schnell wie möglich aus dem Sichtfeld der Barke. Ein kurzer Blick zurück verriet ihr, dass die Männer anscheinend keine Anstalten machten, sie zu verfolgen. Ob sie Omar erzählen würden, sie sei ertrunken? Oder glaubten sie, ihre Flucht Rasul in die Schuhe schieben zu können? Seinen Leichnam hatten sie gewiss noch nicht entdeckt. Wie auch immer, es gab Wichtigeres, als sich über Vergangenes den Kopf zu zerbrechen. Sie hatte keine Ahnung, wie weit sie sich inzwischen von Alexandria entfernt hatte, aber das war ihre geringste Sorge. Am Nil entlang fände sie zurück, ganz gleich, wie lange es dauerte. Die Frage blieb, was zu tun war, wenn sie wieder in Alexandria war. Sollte sie Philip die Wahrheit beichten? Nach allem, was er ihr angetan hatte? Angesichts der Rache, die sie ihm geschworen hatte?
Sie strich sich eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht. Obwohl es warm war, fröstelte sie in der nassen Kleidung. Sie war Omar entkommen, gewiss. So wie sie allen Widrigkeiten des Lebens entkommen war. Niemand vermochte sie auf Dauer zu bezwingen. Und doch spürte sie auf einmal eine tiefe Leere. Ihr Wunsch, sich mächtige Verbündete zu schaffen und selbst Macht zu erringen, hatte ihr bisher Kraft verliehen – und war nun zunichte gemacht worden. Omar war Khalil. Ein niederträchtiger Schurke, dem Menschenleben nichts galten. Gewiss, auch sie tötete ohne Reue, doch hatte sie stets Frauen und Kinder verschont und ihre Feinde schnell und schmerzlos getötet. Niemals hätte sie gehandelt wie Omar.
Ihre Gedanken schweiften zurück in ihre Heimat. Hatte sie die rechte Wahl getroffen, als sie Philip gefolgt war? Ulf von Regenstein hatte sie mit seinem Wunsch ermutigt. Sie sollte Philip töten, damit Ulf Burg Birkenfeld in Besitz nehmen konnte. Eigentlich hätte es auf diese Forderung nur eine Antwort gegeben. Einen Faustschlag in Ulfs Gesicht. Aber sie hatte gelächelt, sich bestärkt gefühlt durch die Lüge, hinter der sie ihre wahren Gefühle verbarg.
Sie zügelte ihren schnellen Gang, schlang die Arme um den Körper, als könne sie die Kälte auf diese Weise vertreiben. Ihre Gedanken flogen zurück zu ihrer Ziehmutter Gundula. Zu ihrer letzten Begegnung, als die Alte ihr die Runen gelegt hatte.
Philip ist ein anständiger Mann , hatte sie gesagt. Bei der Erinnerung an Gundulas Worte stiegen Thea Tränen in die Augen. Nur ein einziges Mal hatte sie geweint, damals an jenem Tag, als sie Philips Hochzeitszug aus dem Dunkel des Waldes heraus beobachtet hatte. Damals hätte sie ihn töten können, wenn sie gewollt hätte. Aber sie hatte nicht gewollt …
Und endlich war sie bereit, sich die Wahrheit einzugestehen. Sie hatte ihn geliebt, die ganze Zeit. Er aber hatte sich für eine andere entschieden, ihr beinahe das Herz aus der Brust gerissen, sie so sehr verletzt, dass nur ihr heißer Zorn verhindern konnte, dass sie daran zerbrach.
Dennoch war er nie ihr Feind gewesen. Im Gegenteil. Er wusste genau, was er ihr angetan hatte. Er hatte Schuldgefühle, und jedes Mal, wenn sie ihn gebraucht hatte, war er zur Stelle gewesen.
Endlich begriff sie, dass sie ihn niemals hatte töten wollen. Sie hatte nur eine Ausrede vor ihrem eigenen Stolz gebraucht. Eine Ausflucht, die es ihr ermöglichte, in seiner Nähe zu bleiben und dennoch das Gesicht zu wahren. Von allen Männern, mit denen sie sich jemals eingelassen hatte, war er mit Sicherheit der anständigste gewesen.
Während sie dem Nillauf zurück nach Alexandria folgte, erinnerte sie sich an ihre ersten Begegnungen
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