Sündenjagd: Deadly Sins 1 - Roman (German Edition)
mich …«
»Sagen Sie es mir!«, unterbrach sie ihn. »Pater, ich muss es wissen!«
Er seufzte, und sie konnte sich vorstellen, wie er seine kleine, in einen Silberrahmen eingefasste Brille abnahm und mit seinem Taschentuch geistesabwesend putzte. Philip war nicht nur ein »Pater«, also ein Vater im geistlichen Sinne, sondern auch die einzige Vaterfigur – die einzige normale Vaterfigur –, die Moira je gehabt hatte. Aber sie hatte in St. Michael nicht bleiben können, war das Schweigen der Mehrheit seiner Bewohner doch einer stummen Anklage gleichgekommen. Sie konnte sich nicht mit ihrer Angst in das Kloster zurückziehen, während Fiona frei herumlief, an Macht gewann und Allianzen mit den finstersten Seelen auf und unter der Erde schmiedete.
So hatte sie St. Michael verlassen und sich nach Olivet, einer Abtei in Montana, begeben, die nach dem Ölberg in Jerusalem benannt worden war. Olivet war der Ort, an dem man körperlich auf seine Aufgabe als Dämonenjäger vorbereitet wurde und, so vermutete Moira, wo diejenigen, die bereits mittendrin
steckten, ihre Wunden nachher lecken und sich neu formieren konnten.
Das Kloster St. Michael stellte den akademischen Zweig des Ordens dar. Dort wurde einerseits studiert und gebetet, andererseits wurden aber auch junge Krieger herangezogen, die auf allen Gebieten ausgebildet wurden – bis ihre Talente zum Vorschein kamen und sie anderweitig eingesetzt oder nach Olivet zum körperlichen Training geschickt wurden.
Es wurde gemunkelt, St. Michael würde das menschlich Böse und Olivet das übernatürlich Böse jagen. Wenige gaben zu, auf der Suche nach dem Bösen sowohl Jäger als auch Gejagte zu sein, während sie versuchten, ihren Orden vor externen – und internen – Feinden zu schützen.
Moira war nur deshalb zu einer Dämonenjägerin ausgebildet worden, um die Dämonen, die Fiona ihr in den Weg stellte, zu bekämpfen. Rico, der Leiter von Olivet und ihr Ausbilder, hatte ihr eindeutig zu verstehen gegeben, dass sie nicht eine von ihnen wäre: ein in St. Michael groß gewordener, auserwählter Krieger. Moiras einzige Aufgabe bestand darin, Fiona zu finden und aufzuhalten. Da dunkle Hexenzirkel Dämonen zu ihrer Verteidigung benutzten, war es unerlässlich zu lernen, Dämonen zu bekämpfen, um so Hexen das Handwerk zu legen.
Neben Moiras Schuld kam auch noch Einsamkeit hinzu.
»Ein Tor zur Hölle ist offen?«, hakte Pater Philip nach.
»Öffnet sich gerade.«
»Wieso betonst du das so?«
Sie war sich nicht sicher. »Weil es das ist, was ich dachte, als ich die Vision hatte. Irgendetwas beginnt gerade. Ich kann es nicht erklären; es ist nur so ein Gefühl von mir.« Moira hasste undeutliche Visionen, Interpretationen, vage Ideen, was all die Dinge bedeuten könnten. Sie wollte – sie brauchte – einen Weg, dem sie folgen konnte. Eindeutige Anweisungen, einen festen
Plan. Wieder einmal zeigte Gott ihr seinen schwarzen, kosmischen Sinn für Humor.
»Dann bleibt noch Zeit«, verkündete Pater Philip von der anderen Seite des Ozeans.
»Und was ist mit der Narbe?«
»Du hast Visionen, seit Peter tot ist.«
Schon bei der bloßen Erwähnung seines Namens zog sich Moiras Herz zusammen.
»Ja.«
»Bei den Visionen geht es um die Grenze zwischen uns und der Unterwelt.«
»Mehr oder weniger.« Sie rutschte unbehaglich hin und her. »Ich hatte nur ein paar Visionen.« Ein Dutzend, mehr oder weniger. »Nicht so viele, als dass ich schon in die Gummizelle müsste.«
»Musst du nicht.« Sie hatte einen Witz gemacht, aber seine Antwort klang so, als hätte sie die Bemerkung ernst gemeint. »Die Vision ist ein Zeichen. Du stehst in geistiger Verbindung mit der Unterwelt.«
»Nein, nein, nein! Ganz und gar nicht! « Sie zitterte. Der Neuzugang der Dämonenjäger von St. Michael zitterte vor Angst. Was für eine Welt!
»Moira, ich glaube dir, aber du musst lernen, deine Kräfte für uns einzusetzen! Wir müssen uns gegen sie stellen. Wir haben schon zu lange nur reagiert und erst dann agiert, wenn sie böse Geister schickten. Das Einzige, was du und Peter richtig gemacht habt, war, aktiv zu sein.«
»Pater – bitte!« Sie konnte nicht über Peter sprechen.
»Peter hat viele Fehler begangen.«
»Ich habe die Fehler gemacht, Pater!«
»Aber Peter hätte es wissen müssen.«
»Sagen Sie so etwas nicht!«
»Mein Kind …« Er seufzte. Moiras Herz schwoll an. Sie liebte
es, wenn Pater Philip sie als sein Kind bezeichnete. Es war ein Kosename, der sie
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