Sündenkreis: Thriller (German Edition)
Ich werde über Nacht furchtbare Kopfschmerzen bekommen. So schlimm, dass ich zum Arzt gehen muss. Ich wäre so oder so außer Haus gewesen. Morgen ist der nächste Verhandlungstag im Fall des ermordeten Berufsschullehrers. Und da ich das Gerichtsressort abgeben muss, kann Tom auch gleich jemand anderen hinschicken. Und weil wir gerade dabei sind …«, Lara schaute auf ihre Finger, die sich ineinander verschränkt hatten, »ich mache mich dann auf den Heimweg. Es ist schon nach neun.«
»Du kannst auch hierbleiben. Wir trinken noch einen Rotwein.«
»Nein, danke. Heute nicht. Nimm es mir nicht übel, aber ich bin furchtbar müde und fühle mich ausgelaugt. Das war einfach zu viel die letzten Tage.«
»Das verstehe ich.«
Verstand er wirklich? Lara überlegte kurz, doch dazubleiben und das Durcheinander in ihrem Kopf mit ein paar Gläsern Wein zu ertränken, aber ihr Verstand war dagegen. Es würde alles nur noch verworrener machen, und morgen früh wären all ihre Probleme noch immer da. »Ich rufe dich morgen Vormittag an, wenn ich von Doktor Radost komme. Wir haben uns ja einiges vorgenommen. Kannst du inzwischen versuchen, den lateinischen Text von Robert Wessels Rücken zu besorgen? Ich würde gern Stefan Reinmann zum Inhalt befragen. Dann könnten wir überprüfen, ob unsere Vermutung, sein Tod habe etwas mit seiner Geldgier zu tun, richtig ist.«
»Jawohl, Chefin.« Jo, der inzwischen aufgestanden war, salutierte vor Lara.
29
Sibylle Leitsmann gab Gas. Die Räder drehten kurz durch und griffen dann. Mit einem Hopser rollte das Auto über die Eisbuckel. Es knirschte, als der Auspuff an den Schneeberg hinter ihr stieß, und sie trat auf die Bremse. Der öffentliche Parkplatz wurde nicht geräumt. Die Stadt trieb Bußgelder von jedem Hausbesitzer ein, der seinen Pflichten nicht nachkam, hatte aber selbst kein Geld, um Gehwege und öffentliche Anlagen von Schnee und Eis zu befreien. Neben ihr stand ein dunkelgrüner Fiat, dann folgten zwei leere Zwischenräume. Sie stieg aus und stapfte durch den Schnee in Richtung Amt. Der achtstöckige Plattenbaublock beherbergte mehrere Behörden. Die Steinstufen waren sauber geräumt, der Hausmeister hatte reichlich Salz gestreut. An der Glastür prangten undefinierbare Flecken in verschiedensten Schattierungen. Mit spitzen Fingern drückte Sibylle Leitsmann gegen den Griff und schob sich dann durch den Spalt, ehe die Tür zurückschwingen konnte.
Im Warteraum saßen mindestens zehn Leute, obwohl es erst halb acht war. Aber freitags hatten die meisten Behörden nur bis mittags geöffnet, und die Leute hofften darauf, zeitig fertig zu sein. Der Beamte an der Anmeldung nickte ihr zu, dann bog sie um die Ecke. Sibylle Leitsmann erwog, die Treppe zu nehmen und entschied sich dann doch für den Fahrstuhl.
Mit einem metallischen Klappern schlossen sich die Türen in der Mitte, und dann ging es mit einem Ruck aufwärts. Ein merkwürdiger Geruch machte sich breit. Sibylle Leitsmann rümpfte die Nase und sah sich um. In der Ecke entdeckte sie etwas, das wie braune Schmiere aussah, und wandte sich angewidert ab. Entweder, jemand hatte einen Köter mit Durchfall mitgebracht, obwohl Hunde hier verboten waren, oder das da in der Ecke war etwas anderes. Essensreste, alter Ketchup oder Schlamm. Schlamm kam wohl bei den Minusgraden draußen eher nicht infrage. Sibylle Leitsmann entschied sich für Essensreste und nahm sich vor, den Hausmeister anzurufen und ihn zu bitten, den Fahrstuhl zu säubern. Es machte keinen guten Eindruck auf die Leute, wenn ihnen schon auf dem Weg nach oben Schmutz und Gestank entgegenschlugen. Einige Zimmertüren auf dem Gang waren noch verschlossen. Das Jugendamt hatte freitags von acht bis zwölf Sprechstunde, und die meisten Mitarbeiter trudelten nicht wesentlich früher ein.
Sibylle Leitsmann zückte den Zimmerschlüssel, den sie schon im Fahrstuhl aus der Tasche gekramt hatte, steckte ihn ins Schloss und wollte ihn drehen. Ein Widerstand ließ sie innehalten, und sie versuchte es erneut. Es dauerte einen Augenblick, bis sie erkannte, warum sich die Tür nicht aufschließen ließ. Sie war bereits offen. Gerda musste heute gegen alle Gewohnheiten schon vor ihr eingetroffen sein.
»Morgen! Du bist ja zeitig da!« Die Tür schwang auf, Sibylle Leitsmann trat ein und erstarrte.
Ein Aufschrei gellte auf den Gang hinaus. Kollegen stürzten aus ihren Zimmern, sahen sich mit ängstlichen Blicken um und stürmten dann in die Richtung, aus der der Lärm
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