Sündenkreis: Thriller (German Edition)
heulte eine Sirene, und Jo sprach lauter. »Die Tote hatte nämlich laut Augenzeugen lateinische Wörter auf der Stirn. Ich habe zwar keine Bestätigung dafür, bin aber sicher, dass sie ihr eintätowiert wurden, als sie noch am Leben war.«
»Wie bitte?« Er musste seine Bemerkung nicht wiederholen, Lara hatte sie auch so verstanden.
»Damit dürfte klar sein, dass wir hier das vierte Opfer unseres Serienmörders haben, auch wenn die Kripo das mit den eintätowierten Texten bisher unter Verschluss gehalten hat.«
»Spätestens jetzt kommt das so oder so raus. Die können ja nicht allen einen Maulkorb verpassen. Sicher hat sie auch einen Text auf ihrem Rücken.« Lara dachte an den Kellergang mit der verschlossenen Tür in der Villa der Holländer-Sekte.
»Ich habe versucht, ein paar Leute auszuhorchen, aber nicht viel herausbekommen. Die Tote heißt mit Nachnamen Saibling. Verschwunden ist sie seit Dienstag. Ihr Mann hatte sie als vermisst gemeldet, aber man hat wohl keine Parallelen zu den anderen drei Fällen hergestellt.« Jo räusperte sich und fuhr dann fort. »Ich versuche jetzt, meine Fotos an den Mann zu bringen. Wo bist du gerade?«
»Auf dem Weg zu Doktor Radost. Ich habe vorhin in der Redaktion angerufen und mich krankgemeldet. Ist mir egal, was Tom davon hält. Den Gerichtstermin kann jemand anders übernehmen, und sonst warten keine unaufschiebbaren Aufgaben auf mich. Ich hoffe, dass ich in einer Stunde wieder draußen bin. Dann rufe ich dich an. Ich habe mich für den späten Nachmittag bei Herrn Reinmann angekündigt. Er soll sich den Robert-Wessel-Text ansehen. Danke übrigens, dass du ihn mir in den Briefkasten gesteckt hast.«
»Keine Ursache. Soll ich mitkommen?«
»Wenn du nichts Besseres zu tun hast?« Lara kicherte und kam sich dabei vor wie ein Schulmädchen.
»Vier Ohren hören mehr als zwei. Wollten wir nicht auch diese Holic -Baracke noch einmal aufsuchen und anschließend das Haus der ›Himmelskinder‹ beobachten und ein paar Sektenmitglieder befragen?«
»Hab ich nicht vergessen! Ruf mich an, wenn du so weit bist. Bis nachher.« Lara ließ das Handy im Auto und machte sich auf den Weg in die Arztpraxis.
»Herr Schwarz, vielleicht können wir kurz hereinkommen.« Lara krallte die Zehen in ihren Stiefeln ein und streckte sie wieder. Neben ihr atmete Jo weiße Wölkchen aus. »Ich würde wirklich gern mehr über Sie und Ihre Gruppe erfahren.« Sie versuchte ein freundliches Lächeln. Im Gesicht des hageren Mannes verzog sich nicht ein Muskel. Er dachte nach. Lange. Mindestens fünf Minuten, jedenfalls kam es ihr so vor. In Wirklichkeit waren es vielleicht nur Sekunden. Seine Hand bewegte sich auf der Türklinke, und Lara wusste, dass sie gewonnen hatten.
»Viertelstunde.« Der Mann drehte sich ohne ein weiteres Wort um und ließ die Tür hinter sich offen. Der Vorraum war mit Brettern verkleidet. Jo schloss die Tür, und einen Moment lang war es stockfinster, bis sich links von ihnen eine Tür öffnete. Herr Schwarz schritt hinein. Mit seinen langen dünnen Beinen stakte er wie ein Storch. Der Raum ähnelte einem Pausenraum für Bauarbeiter. Nackte Wände, ein einfacher Holztisch mit sechs ebenso schlichten Stühlen, keine Tischdecke, keine Sitzkissen, keine Bilder an den Wänden, dafür dicke Vorhänge vor den Fenstern. Lara und Jo nahmen nebeneinander Platz, Herr Schwarz saß bereits am Kopfende, die Arme aufgestützt, die Hände betend gefaltet. Er schwieg.
»Wie schon gesagt – wir kommen von der Tagespresse . Ich arbeite an einer Reportage über die religiösen Gemeinschaften in Leipzig und würde gern auch die Holic-Gruppe mit einbeziehen.«
»Stellen Sie Ihre Fragen.« Der Mann kniff sofort, nachdem die Worte heraus waren, die Lippen wieder fest zusammen.
»Woher stammt Ihre Gruppierung?«
»Gruppierung?« Jetzt kräuselte sich der Mund verächtlich. »Wir sind Christen.« Er wartete, und Lara beeilte sich, zu nicken. Neben ihr machte Jo sich klein. Bloß nicht auffallen. »Ich habe gelesen, dass Ihre Glaubensgemeinschaft von Gottfried Holic in Wien gegründet wurde.«
»Lüge.« Die Lippen pressten sich wieder aufeinander.
»Dann stellen Sie das doch bitte richtig, damit wir es im Artikel wahrheitsgetreu wiedergeben können.« Es dauerte eine Weile, dann redete der Mann. Lara, die ihr Notizbuch auf den Tisch gelegt hatte, schrieb seine Worte so mit, dass er es sehen konnte. Sollte er an einen Zeitungsbericht glauben.
»Zuerst gab es eine Wohngemeinschaft der
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