Sündenkreis: Thriller (German Edition)
Biegung nach rechts.
Jo rüttelte an der ersten Tür und war überrascht, als sie sich ohne Widerstand öffnen ließ. Im dahinterliegenden Raum fanden sich rohe Holzbänke und Metallschränke, an den Wänden waren Bretter aufgestapelt, darüber hingen Werkzeuge in Reih und Glied. Ein Bastelkeller. Der nächste Raum enthielt mehrere Fahrräder, Flechtkörbe, Hacken, Spaten, ein Regal mit Gummistiefeln und Handschuhen und Tüten, deren Inhalt nach Sämereien aussah. Das Gartencenter. Jo schloss auch diese Tür, nicht, ohne alles zu fotografieren. Ein paar atemlose Sekunden lang blieb er stehen und lauschte. Über ihm trappelten hastige Schritte. Seine Zeit lief ab. Er hastete zur nächsten Tür. Verschlossen. So auch die vierte und fünfte. Eilig bog er um die Ecke und blieb verblüfft stehen. Ein dunkelroter Samtteppich zierte die glatt getretenen Steine. An den Wänden waren in regelmäßigen Abständen geschmiedete Fackelhalter angebracht. Die Decke darüber war geschwärzt. Hier gab es auch keine Neonlampen. Und jemand hatte eine massive Zwischentür in den Gang eingebaut. Der rote Läufer führte unter ihr durch.
Noch ehe Jo die Zwischentür erreicht hatte, fingen seine Ohren Geräusche auf. Jemand rannte Stufen hinab. Noch bevor er an der Klinke rüttelte, wusste er schon, dass sein Ausflug hier enden würde. Verschlossen.
»Hierher! Hierher!« Das Geschrei näherte sich. Gleich würden sie um die Ecke biegen. Jo ließ die Kamera sinken und erwartete seine Häscher.
28
Er betrachtete die Leiche. Sie lag auf dem Rücken wie ein schlaffer Sack, der Mund stand dümmlich offen, die Augen quollen töricht glotzend aus den Höhlen. Wie sie da so lag, fand er die Frau noch widerlicher als zu Lebzeiten. Er hasste sie regelrecht, hasste den schwabbeligen Körper, dieses aufgedunsene Gesicht, ihre kurzen Finger mit den aufgeklebten Kunstnägeln, die wie Baggerschaufeln eines Legomännchens aussahen. In den letzten Minuten ihres Lebens hatte sie geheult, gebettelt, gewimmert und gefleht, und der Rotz war ihr dabei aus der Nase in den Mund und über das Doppelkinn gelaufen. Ein Tritt in die Seite ließ das Fleisch an ihrem Bauch erzittern wie einen riesigen Wackelpudding. Noch war sie warm, aber das würde sich schnell ändern. Bis zum Einsetzen der Totenstarre in den großen Gelenken hatte er mindestens drei Stunden Zeit, wahrscheinlich sogar etwas länger. Kälte verzögerte den Prozess. Und es war kalt hier. Er versagte sich einen weiteren Tritt. Allmählich normalisierten sich Puls und Atmung. Obwohl er es sich verbot, geriet sein Kreislauf doch jedes Mal in Wallung, wenn er seine Delinquenten auf die Reise zum Jüngsten Gericht schickte. Im Persönlichen Gericht wurde nur die Seele gerichtet, die Leiber nahmen nicht daran teil. Aber da auch der Leib seinen verdienten Lohn oder die verdiente Strafe haben sollte, wurden die Körper der Verdammten in die ewige Qual hinuntergestoßen. Vielleicht trafen sie sich dort sogar und beweinten gemeinsam ihr Schicksal. Eine spaßige Vorstellung. Er betrachtete ein letztes Mal die Gestalt auf dem Steinboden, wandte sich dann ab und ging nach oben, um Vorbereitungen für ihren Abtransport zu treffen.
Genau wie die anderen vor ihr hatte Gerda Saibling nichts begriffen. Er wollte kein Geld, er wollte nicht handeln. Er wollte, dass seine Erwählten ein Einsehen hatten, sich schämten, dass sie wahrhaft bereuten, aber bis jetzt war ihm diese Genugtuung versagt geblieben.
Zuletzt dienten sie allerdings der Sache doch noch, auch wenn sie zu Lebzeiten kein Einsehen gehabt hatten. Jeder von ihnen gab ein mahnendes Beispiel ab. Heutzutage stellte man leider lasterhafte Personen nicht mehr öffentlich mit Schandmaske oder Halsgeige an den Pranger oder bestrafte schwere Sünden durch Rädern, Vierteilen oder Pfählen. Es gab überhaupt keine drastischen, wirksamen Strafen mehr, und so hatten die Menschen die Ehrfurcht verloren und frönten der Sünde.
Sein Werk sollte die Sündhaften aufrütteln, ihnen das Verwerfliche ihres Tuns vor Augen führen und sie zu Einsicht und wahrhafter Reue bringen. Bis jetzt hatte noch niemand den Zusammenhang hinter den Präsentationen durchschaut, aber irgendwann würde jemandem ein Licht aufgehen. Der Mann presste die Lippen aufeinander. Die Fingerzeige waren für jeden sichtbar. Diese Rosenkranzperlen in den Augen der Hure, die er in der Kirche aufgebahrt hatte, stellten doch ein eindeutiges Zeichen dar. Die Dopplung von luxuria und Asmodaeus – einmal
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