Sündenkreis: Thriller (German Edition)
fort. »Es gibt viele Laster, und nicht jeder ist sich bewusst, dass er vom rechten Weg abkommt.«
»Du hast vollkommen recht.« Romain Holländer war sich nicht schlüssig, worauf der junge Mann anspielte. »Wir sollten das Thema in einer unserer Andachten aufgreifen.« Er blickte Max Frenzel direkt in die Augen. »Es wäre gut, wenn du bis dahin Argumente zusammenstellst, die du dann der Gemeinde vortragen kannst. Wenn du Fragen hast, komm damit zu mir.« Der junge Mann nickte und schlug die Augen nieder. Seine Wangen waren jetzt gerötet.
»Wunderbar. Danke, Max.« Romain Holländer nahm sich vor, Max Frenzel in den nächsten Tagen ein wenig genauer zu beobachten. Religiöse Eiferer konnten sie hier nicht gebrauchen.
Nachdem noch zwei ältere Frauen ihre Alltagssorgen vorgebracht hatten, schaute Romain Holländer demonstrativ auf die Uhr, spannte die Muskeln an und hob das Kinn. »Es ist spät, meine Lieben. Lasst uns gemeinsam die Fürbitte für alle Kinder des Himmels sprechen. Dann bereitet euch auf morgen vor.«
»Ich habe noch etwas zu klären!« Frieder Wörth saß auf der vordersten Stuhlkante und atmete tief ein und aus.
»Hat das nicht bis zum nächsten Mal Zeit?« Romain Holländer gab den anderen ein Zeichen, dass sie sich erheben konnten. Er wollte um jeden Preis verhindern, dass Wörth sein »Problem« vor allen ausbreitete.
»Nein, jetzt!« Frieder Wörth war aufgesprungen, stand im Stuhlkreis und rang die Hände.
»Na gut, Frieder. Ich bin für dich da. Gleich kannst du mir deine Sorgen vortragen. Lass aber die anderen erst zu ihren Kindern gehen, damit sie ihre wohlverdiente Ruhe finden.« Der Angesprochene drehte sich einmal im Kreis, beobachtete, wie die Gemeindemitglieder hinausströmten, und erweckte dabei den Eindruck, er hätte sie lieber dabehalten. Aber es war zu spät. Eine Minute später war der Andachtsraum leer. Das Gemurmel entfernte sich schnell, und dann stand Frieder Wörth mit vorgeschobenem Kinn vor dem Prinzipal.
»Also, Frieder.« Romain Holländer ließ die Arme am Körper herabhängen, obwohl er sie lieber vor der Brust verschränkt hätte. Aber er wollte offen wirken. Deshalb verwendete er auch in jedem zweiten Satz den Vornamen des Mannes. »Bleiben wir gleich hier?« Er deutete auf einen der Stühle und setzte sich ohne abzuwarten, ob der Mann ihm folgen würde. »Was hast du denn auf dem Herzen, was nicht bis zur Gruppenzusammenkunft am Wochenende warten kann?«
»Es geht um Marcel!« Frieder Wörth hatte jetzt auch wieder Platz genommen. Genau wie vorhin saß er, als habe er einen Stock verschluckt, auf der Stuhlkante.
»Marcel?« Romain Holländer tat erstaunt. Marcel Wörth war der Altardiener vor Konrad gewesen. Fast zwei Jahre lang hatte der mittlerweile Elfjährige dem Prinzipal vor und nach jedem Gottesdienst zur Hand gehen dürfen. »Was ist mit deinem Sohn?«
»Er hat sich seit letztem Jahr verändert!«
»Verändert, hm.« Eine Pause sollte den Mann zu weiteren Erläuterungen auffordern.
»Er ist in der Schule schlechter geworden. Er isst kaum noch etwas, manchmal erbricht er. Nachts hat er oft Albträume, er schreit und weint. Dauernd wäscht er sich die Hände, will sich duschen und mehrmals täglich die Zähne putzen.«
»Hast du ihn gefragt, woran das liegen könnte?«
»Natürlich habe ich das!« Es klang zornig. »Er wollte nicht mit der Sprache herausrücken.« Jetzt sah Frieder Wörth auf. Seine Augen glühten wieder wie vorhin im Speisungsraum.
»Mir ist auch schon aufgefallen, dass Marcel kaum noch etwas isst.« Romain Holländer erwiderte den Blick seines Gegenübers. Er musste herausfinden, ob der Vater von Marcel tatsächlich etwas wusste. Fatal, wenn er sich ohne triftigen Grund aufs Glatteis führen ließ. »Vielleicht fühlt Marcel sich schuldig, weil seine Mutter ihn verlassen hat?« Frieder Wörth zuckte zusammen. Seine Frau war vor einem Dreivierteljahr Hals über Kopf verschwunden und hatte Mann und Sohn zurückgelassen. Melinda hatte erzählt, Frieders Frau habe sich in einen anderen verliebt und sei deswegen fortgelaufen. Keiner von ihnen wusste, wo sie sich jetzt aufhielt. Es war nicht erwünscht, dass die Kinder des Himmels den Kontakt mit den Abtrünnigen aufrechterhielten. Aber das hier war kein Gefängnis, jeder konnte gehen, wohin er wollte.
»Hast du deinen Sohn denn gefragt, ob sein Verhalten damit zusammenhängt?«
»Nein.«
»Könnte das die Ursache sein?«
»Ich weiß es nicht.« Frieder Wörth wirkte
Weitere Kostenlose Bücher