Sündenkreis: Thriller (German Edition)
mit Jo im Hintergrund und beobachtete das Geplänkel. Würde Tom nachgeben? Natürlich konnte er auf der Pressefreiheit beharren, aber das würde die Beamten verärgern, sodass sie wahrscheinlich zum Staatsanwalt und dann zum Richter rennen und mit einer Beschlagnahmeanordnung zurückkommen würden. Und dann war das Tischtuch zerschnitten, und die Tagespresse würde so schnell keine Informationen von der Kripo mehr bekommen.
»Herr Fränkel, es geht um Mord . Auf den Fotos könnte der Täter zu sehen sein. Das sollte doch Grund genug sein, dass Sie uns die Bilder überlassen. Wenn alles geklärt ist und wir eine Freigabe erteilen, können Sie sie selbstverständlich verwenden.«
»Wer weiß, wann das sein wird. Einen Artikel über das Geschehen werden wir aber auf jeden Fall bringen.« Tom verzog das Gesicht. Er sah seine »Riesenstory« davonschwimmen. Aber würde er es wagen, sich den Beamten zu widersetzen? Plötzlich entdeckte Lara das altbekannte Funkeln in seinen Augen, bevor er weitersprach. »Wie wäre es damit: Wir kooperieren. Fotos gegen Informationen.«
Die beiden Kripobeamten sahen sich einen Moment lang an. Dann nickte einer von ihnen. Tom tat es ihm nach und rieb sich dabei unbewusst die Hände. Danach deutete er auf Jo. »Gib den Beamten den Speicherchip, Jo.« Ohne Kommentar ging Jo zu seinem Computer, zog den Chip ab und reicht ihn dem Beamten. Der verstaute ihn in einem kleinen Plastikbeutel und wandte sich an Lara.
»Und nun möchten wir gern mit Ihnen sprechen, Frau Birkenfeld. Allein. Der Redaktionsleiter hat uns sein Büro zur Verfügung gestellt.« Während Lara hinter den beiden hertrottete, dachte sie darüber nach, ob Jo Kopien auf seinem Rechner gespeichert hatte und ob das Lucifer -Foto mit dabei war.
6
»Gnade komme zu euch, Kinder des Himmels .« Romain Holländer hob die Arme, die Handflächen nach außen gerichtet. So wirkte er größer und mächtiger. Die Gemeindemitglieder senkten die Köpfe und stimmten leise murmelnd in seine Litanei ein. Die hohen Altarkerzen flackerten leicht. Draußen war es schon dunkel. In der Woche trafen sich die Kinder des Himmels immer am Mittwoch, um den Abend gemeinsam zu verbringen, die Arbeitslosen, Frauen und Kinder fanden sich schon am Nachmittag ein.
Nach zwanzig Minuten sprach Romain die Schlussformeln. Die Predigten dauerten unterschiedlich lang, je nachdem, welches Thema er ausgewählt hatte. Manchmal ließ er sich von aktuellen Ereignissen inspirieren. Heute hatte er über die bedingungslose Hingabe an die höhere Macht gesprochen. Mit »höhere Macht« meinte er natürlich sich selbst. Seit einigen Wochen wurde Romain Holländer das Gefühl nicht los, dass eines seiner Gemeindemitglieder seine Entscheidungen und seine Autorität infrage stellte. Heute wollte er nach der Abendmahlzeit in der Abendandacht darüber sprechen und den Abtrünnigen herausfordern. Die Predigt diente dazu, die Gemeindemitglieder gedanklich darauf einzustimmen. Allmählich leerte sich der Saal. Konrad begann schon, die Stühle in der ersten Reihe gerade zu rücken, darauf bedacht, sie nicht über das Parkett zu schieben. Der neue Altardiener lernte schnell. Romain Holländer sah seinen Schäfchen nach. Gleich würde er mit der Gemeinde zu Abend speisen. Es blieb nicht viel Zeit, um sich von Konrad beim Umkleiden helfen zu lassen. Aber momentan brauchte er diese Zeit auch nicht. Der Junge war noch nicht so weit. Man musste die Novizen behutsam und allmählich auf ihre Aufgaben als Altardiener vorbereiten. Romain Holländer lächelte und winkte Konrad, ihm in das »heiliger Raum« genannte Ankleidezimmer zu folgen. Wie ein zutrauliches Tierchen folgte der Junge. Seine Augen glänzten.
Bedächtig schritt Romain Holländer die Freitreppe ins Foyer hinab und hielt dabei Konrads linke Hand fest. Er genoss das warme Gefühl. Die Hand des Kindes war von ganz allein in seine geschlüpft. Die schweren Lüster verliehen seiner weißen Kleidung einen gelblichen Schein. Der Prinzipal trug immer Weiß, wenn er sich in der Gemeinde aufhielt. Es war ein Zeichen seiner Amtswürde. Niemand sonst durfte sich in dieser Farbe kleiden, auch der jeweilige Altardiener nicht. Dessen liturgisches Gewand war blassrot, und er durfte es nur während der Andachten tragen.
Das Gemurmel im Speisungsraum verstummte, als sie durch die zweiflüglige Tür traten. Romain Holländer gab der Gemeinde ein Zeichen, weiterzuessen und beobachtete dabei, wie eine kleine Frau mittleren Alters aufsprang
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