Sündenkreis: Thriller (German Edition)
selbst, sodass nicht immer alle Zeit haben. Die Kollektion wird erst am Schluss kurz vor der Präsentation an den Mädchen getestet, die dann auch laufen.« Torben Hoffmann saß mit grazil übereinandergeschlagenen Beinen auf einem merkwürdig verbogenen Metallstuhl und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Seine Haare standen heute in alle Richtungen vom Kopf ab, als hätte er sie sich unentwegt gerauft.
»Das heißt, Carolin Fresnel war zu den Anproben gar nicht dabei?«
»Ein-, zweimal schon. Ich musste ja sehen, ob ihr der Entwurf auch passte.«
»Wissen Sie noch, wann sie das letzte Mal da war?«
»Das hat mich die Polizei auch schon gefragt. Moment.« Torben Hoffmann wühlte in seiner schwarzen Umhängetasche und brachte ein zitronengelbes iPhone zum Vorschein. Lara verkniff sich ein Grinsen. Gelb, wie stylish! Vor sich hin murmelnd, fuhr der junge Mann mit dem Mittelfinger über das Display.
»Hier.« Er hielt das Handy so, dass Lara den Terminplaner sehen konnte, und deutete auf die Woche vom ersten bis zum fünften Februar. »Letzte Woche hatten wir nochmal am Dienstag und Donnerstag Anproben. Da war sie nicht dabei.« Er runzelte die Stirn.
»Kam Ihnen das denn nicht seltsam vor, dass Ihr Topmodel zu den entscheidenden Terminen nicht da war?« Lara schrieb »1. Febr. u. 3. Febr. Anprobe, Carolin nicht anwesend« in ihr Notizbuch, obwohl in der Tasche das Diktiergerät lief. Manchmal halfen ihr die Notizen, die richtigen Fragen zu stellen, und das Gegenüber hatte das Gefühl, dass sie genau zuhörte. Gleichzeitig kam sie sich furchtbar antiquiert vor, weil sie mit einem Kugelschreiber auf Papier schrieb.
»Carolin ist« – Torben Hoffmann schaute entsetzt und wedelte mit der Hand vor dem Mund herum, ehe er weiterredete – »war dauernd unterwegs, aber trotzdem zuverlässig. Sie hat schon für mehrere meiner Kommilitonen gearbeitet. Wenn ich mich recht entsinne, hatte sie ein Shooting in London und war deshalb nicht zu erreichen. Zur Show wollte sie rechtzeitig wieder da sein. Ich habe das Brautkleid zwischenzeitlich an einem anderen Model getestet. Das ist nichts Ungewöhnliches.«
»Verstehe. Ich hätte noch ein paar Fragen zum Ablauf der Modenschau selbst.«
»Das habe ich doch alles schon haarklein der Kripo erzählt.« Lara sah, wie Torben Hoffmann Luft ausblies und dann auf seine Armbanduhr schaute. »Ist das wirklich nötig?«
»Ich schreibe eine Artikelserie. Wir könnten darin auch Ihre Kollektion vorstellen.« Sofort wurden die Gesichtszüge des »Nachwuchstalentes« weicher. Es war so einfach. Lara fuhr schnell fort, ehe er es sich wieder anders überlegen konnte. »Ihr Professor hat mir gesagt, dass Sie für die Einladung der Gäste zuständig waren. Gibt es eine Liste?«
»Ja. Die habe ich auf meinem Laptop.« Wieder begann Torben Hoffmann, in seiner Tasche zu wühlen. Es dauerte nur Sekunden, bis er das Notebook gefunden hatte. Es war ein MacBook Air. Allerdings in Weiß und nicht in Zitronengelb.
»Ich weiß nicht, ob das in Ordnung ist, wenn ich das …« Während er mit der Rechten über das Touchpad strich, fuhrwerkte die Linke durch die Haare, und allmählich bekam Lara eine Vorstellung davon, wie Torben Hoffmann zu seiner »Frisur« gekommen war.
»Haben Sie die Liste der Kripo ausgehändigt?«
»Na klar. Die brauchen das doch zum Ermitteln.«
»Dann dürfte es doch kein Problem sein, wenn ich sie auch bekomme, nicht? Ich verspreche Ihnen auch, mit den Angaben sensibel umzugehen.«
»Na gut.« Torben Hoffmann hatte gefunden, was er suchte. »Ich mail Ihnen die Datei. Haben Sie ein Kärtchen?«
Lara legte ihm ihre Visitenkarte auf den Tisch und beobachtete fasziniert, wie schnell der junge Mann tippte.
»Ist es denkbar, dass außerdem auch andere Leute dort waren?«
»Meinen Sie uneingeladene Besucher?« Torben Hoffmann schaute kurz auf und Lara nickte.
»Möglich. Das war ja kein abgesperrtes Gebiet. Und die Diplomshows sind öffentlich. Letztlich kann da jeder ein- und ausgehen wie er will.« Er klappte das MacBook zu.
»Danke. Rufen Sie mich an, wenn Ihnen noch etwas einfällt?« Lara streckte die Hand aus, aber der junge Designer ergriff sie nicht. Mit gerunzelter Stirn saß er wie ein exotischer Vogel auf dem Designerstuhl und schaute sie an, als hätte sie etwas vergessen. Noch ehe sie in Gedanken die letzten Fragen und Antworten durchgegangen war, sprach er. »Sie wollten meine Kollektion in der Zeitung vorstellen.«
»Ach ja, sorry. Natürlich.«
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