Sündenkreis: Thriller (German Edition)
Karaffe trinken durften. Wer nicht an der zweiten Labung teilnahm, war auserwählt. Romain Holländer hatte lange überlegt, ob er Frieder Wörth diese Ehre zuteilwerden lassen sollte. Schließlich hatte der Mann einen Sohn, und Väter waren für die Weihe der jungen Frauen eher ungeeignet. Aber er brauchte das Material, falls Wörth irgendwann wieder auf seinen Verdacht zurückkommen sollte. Das Gleiche galt für Max Frenzel. Der junge Mann musste ein wenig von seinem religiösen Eifer abgelenkt werden. Und das, was gleich passierte, würde ihn ablenken, so viel war sicher. Gleichzeitig würde es ihm im Nachhinein ein schlechtes Gewissen bescheren und die Erkenntnis, dass auch er nicht frei von Sünde war. Lauter nützliche Erfahrungen.
Und so stellte sich Romain Holländer zuerst vor Frieder Wörth, schaute ihn eindringlich an und schüttelte dann unmerklich den Kopf, als dieser zur Karaffe greifen wollte. Die Augen des Mannes leuchteten auf, und er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, beherrschte sich jedoch und nickte nur ganz kurz. Er war zum ersten Mal auserkoren und wusste nicht, was ihn gleich erwartete, was sein Part bei der Zeremonie sein würde, doch er würde schnell begreifen. Für die Zeremonie wählte Holländer immer mindestens einen erfahrenen Mann aus; jemanden, dem er vertrauen konnte, der die Zeremonie schon mehrmals durchgeführt hatte und die anderen anleiten konnte. Obwohl es nicht viel zu sagen gab. Frieder Wörth hatte fast ein Jahr lang keinen Sex mehr gehabt, und egal, was er hinterher behauptete, es würde ihm Spaß machen.
Romain Holländer stellte die Karaffe zurück und beobachtete, wie der Tanz der Gemeindemitglieder schwerfälliger wurde. Auch das Wummern der Djemben verlangsamte sich, bis es ganz erstarb. Sophie war in ihrem Stuhl zusammengesunken, ihr Madonnengesicht schimmerte wie weiße Emaille im Kerzenlicht. Er trat neben den Lehnstuhl und gab den Auserwählten ein Zeichen. Als alle drei nach vorn gekommen waren, schritt Romain Holländer hinter die Trommler, die von ihren Hockern zu Boden geglitten waren und schliefen, und schob den dunkelblauen Vorhang beiseite. Dahinter kam eine weitere Rundbogentür zum Vorschein, die er aufschloss. Wolfgang Franke nickte ihm zu, als er den Lehnstuhl vorsichtig über die Steine rollte. In seinen Augen lag ein begehrliches Flackern. Er war der Erfahrenste der drei und hatte schon einige Weihefeiern geleitet. Romain Holländer sah dem Mann nach. Das rote Gewand verbarg die bullige Figur fast vollständig. Auch Frieder Wörth und Max Frenzel erwiderten seinen Blick im Vorbeigehen. Max Frenzel trug einen aufgeregten Gesichtsausdruck, Wörth machte einen eher skeptischen Eindruck.
Bevor er die Tür hinter den drei Männern und der Elevin schloss, warf Romain Holländer noch einen prüfenden Blick auf das Arrangement im Nebenraum. Der Altar in der Mitte des Raumes war mit Batist verhüllt, der im Dämmerlicht gelblich glänzte. Mehrstimmige Choräle mischten sich mit dem Weihrauch und wallten in fast sichtbaren Schwaden durch das Gewölbe. Kabel und Lautsprecher verbargen sich hinter den tiefroten Samtportieren an den Wänden. Während Wolfgang Franke die Elevin auf den Altar legte, schloss Romain Holländer leise die Tür. Nachdem er die restlichen Gemeindemitglieder durch Anstoßen mit dem Fuß auf ihre Schlaftiefe hin überprüft hatte, eilte er zu seiner »Meditationskammer«. Zwar zeichneten die Kameras auch ohne sein Zutun alles auf, aber er wollte nichts dem Zufall überlassen. Lautlos drehte sich der Schlüssel, und die Tür schwang auf. Den Raum durfte außer ihm niemand betreten. Die Luft in dem winzigen Gelass roch nach kaltem Stein und Weihrauch. Romain Holländer zog den Drehstuhl heraus und setzte sich vor den Bildschirm. Die Aufnahme lief schon.
Mit Wolfgang Franke hatte er die Reihenfolge im Vorfeld besprochen. Zuerst würde Franke selbst agieren. Da Max der Jüngste war und sie annahmen, dass er sich nicht ewig beherrschen konnte, würde dieser als Nächstes an der Reihe sein. Frieder Wörth kam zum Schluss. Bei ihm war Holländer sich nicht sicher gewesen, ob er überhaupt mitmachen würde, aber er ging davon aus, dass der Anblick der anderen beiden und dessen, was sie taten, kaum einen Mann kalt lassen konnte. Wörth würde, nachdem er den anderen beiden zugeschaut hatte, so geil werden, dass er gar nicht anders konnte, als es ihnen gleichzutun.
Romain Holländer drehte die Musik etwas lauter. Die liturgischen Gesänge
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