Suendenpakt
führt die Straße nach Sag Harbor, aber auf der Strecke begegnet man dem letzten Rest Armut, der in den Hamptons verblieben ist. Das Viertel nennt sich Kings Highway, wird aber oft auch als Black Hampton bezeichnet. Zuerst stehen mehrere Millionen teure Häuser am Straßenrand, gleich darauf fährt man wie in den Ozarks oder Appalachen an Bruchbuden, Wohnwagen und alten, aufgebockten Autos vorbei.
Dante und seine Großmutter wohnen an der Schotterstraße, die zum städtischen Müllplatz führt. Die alte Frau, die an die Tür tritt, als wir vor ihrem Wohnwagen halten, hat dieselben Wangenknochen und lebhaften braunen Augen wie Dante, ist aber alles andere als groß. Eigentlich ist sie so klein und rund, wie Dante rank und schlank ist.
»Steht doch nicht hier draußen in der Kälte rum«, sagt Marie.
Das düstere Wohnzimmer in diesem Wohnwagen sieht irgendwie übel aus. Das einzige Licht stammt von einer schwachen Tischlampe, und die ganze Atmosphäre hat
etwas Verzweifeltes. Kaum vorstellbar, dass Dante und sie hier zusammen wohnen.
»Wir sind hier, um zu helfen«, beginnt Clarence. »Der erste Schritt ist, Dante dazu zu bewegen, sich zu stellen.«
»Ihr seid hier, um zu helfen? Wieso? Dante und Michael haben mit diesen Verbrechen nichts zu tun«, wehrt sich Marie. »Nichts! Dante weiß sehr wohl, welche Chance er bekommen hat. Er hat hart dafür gearbeitet.«
»Mir ist das klar«, beruhigt Clarence sie mit ebenso kummervoller Stimme. »Aber der Polizei nicht. Je länger er sich versteckt, desto schlimmer sieht es für ihn aus.«
»Mein Enkel hätte sich für die NBA-Auswahl aufstellen lassen können«, erzählt Marie weiter, als hätte sie Clarence’ Einwand nicht gehört. »Die Geier, die ihn mit Autos und Geld locken wollten, haben sich hier die Klinke in die Hand gegeben, aber Dante hat alle wieder weggeschickt. Er hat mir gesagt, dass er mir ein neues Haus und ein neues Auto kaufen will, wenn er Profi wird. Ich habe ihn gefragt: ›Was stimmt an diesem Haus nicht? Was stimmt mit meinem Wagen nicht?‹ Ich brauche diese Dinge nicht.«
Marie fixiert uns mit ihrem harten Blick. Ihre winzige Behausung ist ordentlich aufgeräumt, und man merkt ihr die trotzige Bemühung an, so etwas wie einen Mittelklassehintergrund zu erzeugen. Kaum sichtbar an der Wand direkt hinter Marie hängt ein Foto von Dante, seinem älteren Bruder und seinen Eltern. Sie stehen, schick gekleidet, vor der Baptist Memorial Church in Riverhead. Auf dem Bild sieht Dante aus, als wäre er zehn. Von Clarence weiß ich, dass Dantes Vater kurz nach der Aufnahme des Bildes auf der Straße erstochen wurde und seine Mutter das erste Mal ins Gefängnis kam. Ich weiß auch, dass sein Bruder, dem die gleichen Chancen als Profi ausgerechnet wurden wie Dante,
eine zweijährige Haftstrafe im Norden unseres Bundesstaates absitzt.
»Marie«, drängt Clarence, »du musst Dante dazu bringen, Tom anzurufen. Tom war mal ein tierisch guter Basketballspieler. Jetzt ist er ein tierisch guter Anwalt. Aber er kann Dante nicht helfen, wenn Dante es nicht zulässt.«
Marie starrt mich mit undurchdringlichem Blick an. »Dieses Viertel ist voll von Leuten, die mal tierisch gute Basketballspieler waren«, sagt sie.
22
Loco
Mitten in der Woche an diesem verschlafenen Nachmittag in der wimmelnden Metropole, die sich Montauk nennt, sitzt Hugo Lindgren am Tresen im John’s Pancake House und schlägt seine Zeit tot, wie nur ein Polizist dazu in der Lage ist - er verwandelt eine kostenlose Tasse Kaffee in einen zweistündigen bezahlten Urlaub.
Da Lindgren ganz alleine am Tresen sitzt - und eigentlich der einzige »Gast« in diesem Laden ist -, mache ich einen auf gesellig und setze mich auf den Hocker neben ihm. Hm, ein ganz schön netter Zug von einem Drogenhändler, oder?
»Loco«, murmelt er.
Sobald ich sitze, kommt Erin Case mit ihren leuchtend grünen Augen und einer fast leeren Kanne Kaffee auf mich zu.
»Schönen Tag, Schätzchen«, begrüßt sie mich mit ihrem immer noch starken Ulster-Akzent. »Was darf ich dir bringen?«
»Ich hätte gerne einen doppelten Latte macchiato Vanille ohne Koffein, wenn das keine Umstände macht.«
»Überhaupt nicht, Schätzchen. Kommt sofort.« Sie füllt meinen Becher mit dem Rest aus der Kanne in ihrer rechten Hand. »Du hast doppelter Latte ohne Koffein gesagt, ja?«
»Heute muss mein Glückstag sein.«
»Jeder Tag ist dein Glückstag, Schätzchen!«
Das Pancake John scheint Feierabend machen zu wollen.
Als sich
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