Sündenzeit
die Tür und sah sich nach allen Seiten um.
Niemand zu sehen.
Dann fiel ihr Blick nach unten, und sie schrie laut auf.
Wieder einer.
Ein toter Vogel.
Mit verkrampften Krallen und steif lag er auf dem Rücken und starrte sie an.
Sie schnappte nach Luft. Erst da wurde ihr klar, dass sie den Atem angehalten hatte.
Tote Vögel. Überall tote Vögel.
Erst vor dem Büro.
Jetzt hier.
Marni kniff die Augen zusammen. Das war zu viel. Hektisch warf sie die Tür wieder zu. Wie lächerlich! Als könnte der tote Vogel ihr folgen!
Sie erschauerte und ging schnell ins Speisezimmer zurück, um mit den Vorbereitungen weiterzumachen.
„Zach!“, rief Kat, als er in der Tür erschien.
Kat hatte sich hingelegt, ihre Lider waren geschwollen und die Augen vom Weinen gerötet. Caer saß mit einem tieftraurigen Gesicht neben ihr. Sie sah ihn an und lächelte schwach. Doch sie blieb sitzen, als Kat aufsprang, um sich Zach in die Arme zu werfen.
„Ach, Zach“, schluchzte sie.
„Sie war ein wundervoller Mensch, und sie hatte ein langes erfülltes Leben, Kat.“ Zach hielt sie tröstend im Arm.
„Ich habe sie so sehr geliebt“, sagte Kat.
„Und sie hat dich geliebt. Sie hat immer gesagt, du wärst das Licht ihres Lebens. Dein Erfolg hat sie sehr stolz gemacht.“
„Ach, Zach. Ich weiß, dass sie alt war. Ich weiß, sie hatte ein erfülltes Leben. Aber ich werde sie so vermissen. Ich kann mir ein Leben ohne ihre Geschichten von Kobolden und Banshees gar nicht vorstellen. Ach, Zach …“
„Ist schon gut.“
„Ich kann gar nicht aufhören zu weinen.“
„Weinen tut gut.“
Kat lehnte sich ein Stück zurück und sah ihn an. „Sie hat dich auch schrecklich gerngehabt, musst du wissen.“
„Ich weiß. Ich habe sie auch geliebt. Das haben wir doch alle.“
„Hast du Jeremy und Aidan angerufen?“
„Noch nicht, aber das werde ich. Ich wollte erst nach dir sehen.“
Kat begann erneut zu weinen. „Sie war alt, aber manche Menschen werden noch älter. Und wenn sie alt ist … dann ist mein Vater auch bald an der Reihe. Zach, ich habe solche Angst. Wenn ich jetzt noch meinen Vater verlieren würde …“
„Du wirst deinen Vater nicht verlieren.“
Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, lehnte sich wieder zurück und sah ihm in die Augen. „Du glaubst mir doch, dass jemand versucht, ihn umzubringen, oder? Und das … das wird sie nicht aufhalten“, flüsterte sie.
„Ich werde deinen Vater beschützen.“
„Oh Gott, Zach, diese schwarzen Vögel. Die Vögel kamen, und deshalb musste sie sterben.“
Zach strich ihr das Haar aus der Stirn. „Die Krähen sind eben Krähen. Kat, Bridey war alt. Sie hat sich erkältet und eine Lungenentzündung bekommen.“
„Sie wusste, dass die Todesfee ihretwegen da war. Das hat sie mir gesagt. Ich habe versucht, es ihr auszureden, aber sie hatte recht. Sie wusste es.“
„Kat, viele Menschen spüren es, wenn sie sterben müssen. Jedenfalls sagt man das.“
„Wo warst du denn überhaupt?“, fragte sie plötzlich.
„Draußen auf Cow Cay.“
„Auf Cow Cay? Warum das? Was war denn da?“
Zach bemerkte, dass Caer ihn ebenso gespannt ansah. Sie wirkte besorgt.
Er wollte Kat nicht sagen, was geschehen war. Dass wieder jemand vermisst wurde. Nur dass er diesmal Spuren seiner Existenz hinterlassen hatte und einen unwiderlegbaren Hinweis darauf, dass er nicht mehr lebte.
Sein Blut.
„Etwas geht da draußen vor sich, ich weiß nicht genau, was. Ein Mann war über Nacht auf der Insel, und jetzt … können sie ihn nicht mehr finden“, berichtete Zach zögernd.
„Er ist verschwunden? Wie Eddie?“, wollte Kat wissen.
„Ja, ich fürchte schon.“
„Oh mein Gott! Eddie, Bridey … mein Vater wird krank, und jetzt verschwindet dieser Mann? Was zum Teufel ist bloß hier los, Zach?“
„Kat, Bridey war krank. Und alt. Es war eben ihre Zeit.“
„Aber es war nicht richtig. Sie hätte hundert werden sollen. Ihre Zeit … Es war zu früh, auf jeden Fall.“ Kat begann wieder zu schluchzen, und Zach zog sie erneut in die Arme. Mehr konnte er im Augenblick kaum tun. Hilflos warf er Caer einen Blick zu.
Sie stand auf. „Kat, ich glaube, Sie sollten sich jetzt etwas ausruhen. Aber es ist vollkommen richtig, zu weinen. Wir weinen, wenn wir Menschen vermissen. Aber wir müssen verstehen, dass es zum Leben dazugehört. Und es gibt einen Zeitpunkt und einen Ort, an dem wir uns wiedersehen. Dann wird alles wieder gut.“
Kat löste sich von Zach und sah Caer an.
Weitere Kostenlose Bücher