Sündenzeit
geschafft zu kommen.
Er hatte sich geirrt.
Sie war kaum eingetreten, als man sie schon bemerkte. Eine attraktive Frau um die vierzig kam sofort hinter der Bar hervor. Sie wischte sich die Hände an einer Schürze mit dem Schriftzug „Irish Eyes“ trocken.
„Sie haben es tatsächlich geschafft!“, rief sie erfreut.
„Das habe ich doch versprochen“, entgegnete Caer.
„Ich bin Zach Flynn“, stellte Zach sich selbst vor.
„Amerikaner?“, fragte die Barfrau.
„Ja. Scheußlicher Akzent, tut mir leid. Caer hat mich eingeladen, mitzukommen. Ich hoffe, das macht Ihnen nichts aus.“
„Mir was ausmachen? Also bitte, ich freue mich! Herzlich willkommen, ich bin Mary Donovan.“ Sie wandte sich wieder an Caer. „Setzen Sie sich. Sie müssen furchtbar hungrig sein, nachdem Sie den ganzen Tag im Krankenhaus waren.“ Sie winkte zwei jungen Männern mit Wollkappen zu, die an der Bar saßen. „Macht schon Platz, ihr beiden Tunichtgute. Das ist Caer. Ich habe euch doch gesagt, dass sie heute Abend vielleicht kommt.“
Der Laden schien zu brummen. In der einen Ecke saß eine Familie: die Eltern, ein Großvater, eine Frau, die wie die Tante aussah, ein Teenager, zwei kleinere Kinder und ein Baby. Eine Gruppe von Arbeitern in Overalls saß daneben, und dahinter hatte sich eine Runde von Männern um die dreißig in Anzügen versammelt. Die verschiedenen Gruppen schienen sich aber nicht voneinander abzusondern. Mal stand jemand auf, um eine Flasche Ketchup oder Mayonnaise vom Nebentisch auszuleihen, und ab und zu wurden Bemerkungen ausgetauscht.
„Hallo, Caer“, sagte einer der Männer an der Bar und tippte sich an die Mütze. „Nett, dass Sie der alten Dame so freundlich geholfen haben.“
„Das war doch gar nichts“, wehrte sie ab.
„Wir müssen Ihnen nicht Ihre Plätze wegnehmen“, sagte Zach. „So eilig haben wir’s auch nicht.“
Doch die beiden hatten die Barhocker bereits für sie geräumt.
„Setzen Sie sich“, forderte Mary sie auf.
„Vielen Dank“, sagte Zach zu den beiden, die ihnen Platz gemacht hatten.
„Dale muss sowieso nach Hause“, erklärte Mary. „Seine Frau und ein brandneues Baby warten auf ihn.“
„Ich wollte nur mal einen kurzen Blick reinwerfen“, sagte der Mann, den sie Dale nannte, und trank schnell sein Bier aus. „Dann bin ich mal weg. Ich würde mich freuen, Sie irgendwann wiederzusehen“, sagte er zu Zach.
„Danke, und herzlichen Glückwunsch zum Baby“, entgegnete Zach.
„Tschüss, Caer. Ich hoffe, bis bald“, wandte sich Dale dann an sie.
„Ein bisschen wird es schon dauern. Ich fahre morgen in die Staaten.“
„In die Staaten? Na, das ist ja ein netter Trip, was? Vergessen Sie nicht, Micky Maus zu besuchen“, riet er ihr. „Meine Frau und ich hatten da sehr viel Spaß. Wir waren froh, dass wir’s gemacht haben. Es wird wohl jetzt ein bisschen dauern, bis wir wieder verreisen können.“
„Dann eine gute Reise“, wünschte ihnen der Mann, der neben Dale gesessen hatte, lächelnd. „Ich werde wohl auch gehen. Dale hat meine Schwester geheiratet. Deshalb gehe ich jetzt mit zu ihm und sehe mir den Nachwuchs an. War nett, Sie zu treffen.“
„Morgen? Sie fahren morgen?“, fragte Mary erstaunt.
Zach registrierte, dass Caer offensichtlich niemandem von ihrer Reise erzählt hatte. Etwas merkwürdig. Aber immerhin hatte sie es ja auch erst vor Kurzem erfahren.
„Aber ich komme ja wieder“, versicherte Caer der Frau und tätschelte ihr die Hand, mit der sie sich auf den Tresen stützte. „Und machen Sie sich keine Sorgen, Ihrer Mutter wird es noch für lange Zeit gut gehen.“
„Sie ist so ein Schatz, meine Mum“, sagte Mary liebevoll. „Hat jahrelang für uns alle geschuftet, vor allem nachdem mein Vater gestorben war. Na gut, das ist dann vorläufig Ihr letztes Dinner für eine Weile im alten Dublin. Ich fühle mich wirklich geehrt, dass Sie hierhergekommen sind. Zuerst werde ich Ihnen das hauseigene Bier servieren, und das ist ein ganz spezielles, das kann ich Ihnen versprechen.“
Einen Moment darauf kostete Caer begeistert von ihrem Bier. Sie versicherte Mary enthusiastisch, dass es das Beste sei, das sie seit wer weiß wann getrunken hätte.
Es war in der Tat ein gutes Bier. Gut gekühlt wäre es sogar noch besser, dachte Zach. Wieder bemerkte er diese eigenartige Unruhe in sich, während er Caer beobachtete. Sie hatte Bekannte, offensichtlich. Im Krankenhaus schien sie für die anderen so etwas wie ein Engel zu sein. Aber da
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