Sündhafte Küsse (German Edition)
Sie lief Aidan geradewegs in die Arme. „Ihr sollt nun hereinkommen“, schluchzte sie übertrieben. „Sie möchte noch mit euch reden, bevor sie ...“ Marianne straffte ihre Schultern und versuchte, sich zu beruhigen.
Julian drückte ihre Hand. „Ist es denn wirklich so schlimm, Mary? Payne meinte, sie wäre schon wieder auf dem Weg zur Besserung.“
„Payne hat das gesagt?“ Aidan zuckte zusammen, als wäre er geschlagen worden.
„Ich glaube ihm, denn wir kennen doch Mutter, sie übertreibt für ihr Leben gerne“, beschwichtigte Julian seinen Bruder. Anscheinend nahm ihn die Sache sehr mit.
„Wie lange wollt ihr denn noch vor der Tür stehen?“ Lady Cathérine protestierte lautstark, bevor ein theatralisches Hüsteln einsetzte. „Vielleicht habe ich nicht mehr lange Zeit!“
„Hört sich so eine sterbenskranke Frau an?“, flüsterte Jul, bevor er grinsend rief: „Wir kommen, Mutter!“
Als die zwei Brüder eingetreten waren und die Tür hinter sich geschlossen hatten, stellten sie sich jeder an eine Seite des Kopfendes und blickten abwartend zu Lady Cathérine. Ihre Mutter saß in dem breiten Bett, den Rücken mit einer Unmenge Kissen abgestützt, und hielt sich ein Spitzentaschentuch an die Lippen.
„Julian! Was in Gottes Namen hast du dir dabei gedacht, deiner alten Mutter Nerven so zu strapazieren?“ Sie schenkte ihm einen kurzen, entrüsteten Blick, bevor ihr Gesicht weicher wurde. „Aber ich will jetzt nicht mit dir schimpfen.“ Abermals hustete Lady Cathérine. „Meine großen Jungen“, sagte sie lächelnd, wobei sie dennoch ernst wirkte. „Ich bin so glücklich, euch zu haben. Alle beide.“
Julian und Aidan blickten sich kurz an, bevor sie sich auf die Matratze setzten. Lady Cathérine streckte ihnen ihre Hände entgegen, und beide ergriffen sie.
„Was möchtest du uns so Wichtiges erzählen?“, fragte Aidan vorsichtig.
Lady Cathérine sah ihn mit gerunzelter Stirn an. „Kannst du es dir nicht denken? Es ist an der Zeit, dass Julian die Wahrheit erfährt.“
„Welche Wahrheit?“, sprachen die zwei wie aus einem Munde, aber ihre Mutter schaute weiterhin nur auf Aidan. „Hast du etwa vergessen, was an dem Tag geschah, als Julian geboren wurde?“
Nein, natürlich hatte es Aidan nicht vergessen. Als sehr junger Mann war er sogar oft kurz davor gewesen, es seinem Bruder zu verraten. Als Aidan jedoch das Familienoberhaupt wurde und sich um all die Dinge kümmern musste, für die sonst Vater zuständig gewesen war, hatte er verdrängt, was damals geschehen war. Zudem war noch die Geschichte mit Henry dazugekommen. Aber jetzt kehrte die Erinnerung mit einem Schlag zurück. Oh mein Gott! Julian, er ist nicht ... Jetzt fällt mir alles wieder ein!
„Was ist an dem Tag passiert, Mutter?“, hörte er Julian wie aus weiter Ferne. „Jetzt erzähl mir bloß nicht, du hattest ein Verhältnis mit einem anderen Mann und ich bin das Resultat daraus“, scherzte er unbeschwert. „Ich hatte mich schon gefragt, warum ich so anders bin als ihr.“
Lady Cathérine und Aidan starrten ihn nachdenklich an. Aidan konnte beobachten, wie das Grinsen in Julians Gesicht gefror, als dieser sagte: „Lord Arthur war nicht mein richtiger Vater, oder?“
„Oh Jul, Liebling, ich weiß gar nicht, wie ich es dir sagen soll ...“, wand sich Lady Cathérine und drückte seine Hand.
„Einfach frei heraus“, krächzte Julian, dem jetzt anscheinend nicht mehr nach Scherzen zumute war.
„Ich bin nicht einmal deine Mutter.“
Wie Blitze schossen die verdrängten Bilder nacheinander in Aidans Gehirn, als der richtige Julian Shevington kurz nach der Geburt in den Armen seiner Mutter gestorben war. Aidan war damals selbst dabei gewesen, als es passierte, woraufhin er seiner Mutter versprechen musste, das Geheimnis für sich zu bewahren. Er war der einzige Zeuge gewesen, als Lady Cathérine die Kinder vertauschte. Nicht einmal sein Vater, Lord Arthur Shevington, hatte gewusst, dass Julian nicht sein leiblicher Sohn war, denn er war zu diesem Zeitpunkt geschäftlich verreist.
„WAS?“ Julian wirkte sichtlich schockiert. „Aber ... wie ...“ Seine Schultern fielen nach vorne; er schien sehr bedrückt. Wie gerne wollte Aidan jetzt um das Bett herumgehen und ihn in die Arme nehmen, um ihm Trost zu spenden. Wie furchtbar musste es sein zu erfahren, dass man vierundzwanzig Jahre lang das Leben eines anderen gelebt hatte. Aidan wollte sich nicht vorstellen, was gerade in Julian vorging.
„Du warst das
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