Sündige Gier
begriff sie, dass es gut gewesen war, trotzdem zu kommen. Nach ihrem Treffen mit den Detectives heute Morgen durfte sie ihren normalen Tagesablauf auf keinen Fall ändern, sie durfte sich nicht zurückziehen oder irgendetwas unternehmen, das den Eindruck erweckte, sie hätte etwas zu verbergen.
Kimballs Unterstellung hatte ihr kurz die Sprache verschlagen. Dann hatte sie gestammelt: »Wollen Sie… wollen Sie damit andeuten, dass ich… den Räuber kannte? Dass ich wusste, was passieren würde? Dass ich etwas damit zu tun habe?«
»Keine Angst.« Kimballs beschwichtigender Tonfall machte sie nur noch wütender. »Man hat die Idee geäußert, das ist alles.«
»Und wer hat sie geäußert?«
»Ein anderer Detective, der mit dem Fall weniger vertraut ist als wir. Er kennt Sie nicht. Jedenfalls halten Sanford und ich nichts von seinen Überlegungen, aber es ist unser Job, jeder Theorie nachzugehen, ganz gleich, wie weit hergeholt sie auch ist.«
Nicht eine Sekunde hatte Julie ihr die scheinheilige Erklärung abgekauft. Sie hatte beiden klipp und klar erklärt, dass sie keine Fragen mehr beantworten würde, solange kein Anwalt anwesend war, und die Detectives dann verabschiedet.
Wie konnten sie auch nur in Erwägung ziehen, dass sie etwas mit Pauls Tod zu tun hätte? Allein die Vorstellung war grotesk. Und genauso frustrierend. Weil sie jede Minute, während der sie dieser falschen These nachgingen, nicht darauf verwendeten, den wahren Schuldigen zu verfolgen. Solange sie ihre Ermittlungen auf Julie konzentrierten, konnte sich Creighton nach Herzenslust ausleben, ohne dass er für den Mord zur Rechenschaft gezogen wurde.
»Wie hoch steht das Gebot im Moment?«
Die vertraute Stimme riss sie aus ihren düsteren Gedanken, und sie drehte sich um. Derek Mitchell stand direkt hinter ihr, den Blick scheinbar auf das Gemälde gerichtet, während er in Wahrheit sie ansah. Er war allein.
»Bei achttausend.«
Er pfiff leise durch die Zähne. »Das ist allerhand.«
»Sind Sie interessiert?«
»Mir fehlt noch was für mein Schlafzimmer.«
Diese Bemerkung bot unzählige Interpretationsmöglichkeiten, und Julie entging keine davon. Sie schaute an ihm vorbei und sah die Rothaarige in lebhafter Unterhaltung mit ein paar anderen Leuten stehen. Derek folgte ihrem Blick und drehte sich dann wieder um. Julie meinte: »Vielleicht sollten Sie sich mit ihr absprechen, bevor Sie ein Gebot abgeben. Was, wenn es ihr gar nicht gefällt?«
»Es zählt allein meine Meinung. Ihre würde mich trotzdem interessieren.«
Julie schaffte es nicht länger, Blickkontakt zu halten, und starrte stattdessen auf die schwarzen Emailknöpfe seines Frackhemdes. »Es ist ein sehr ansprechendes Gemälde von einer vielversprechenden jungen Künstlerin.«
»Darf ich?« Er legte eine Hand auf ihre Taille und schob sie sanft beiseite, damit er an den Tisch treten und ein schriftliches Gebot abgeben konnte. Noch nachdem er seine Hand weggenommen hatte, spürte sie die Wärme seiner Berührung. Sie griff nach einem Stift und reichte ihn ihm. Er beugte sich über den Tisch und schrieb ein paar Ziffern nieder.
»Hi.« Es war die Rothaarige. »Sie sind Julie Rutledge.«
»Genau.«
Aus der Nähe wirkte die Frau noch strahlender. Sie stellte sich vor, allerdings hatte Julie ihren Namen sofort wieder vergessen, weil sie sich nur auf Derek Mitchells Nähe und den Druck seiner Hand auf ihrer Taille konzentrieren konnte. Das verunsicherte sie, und dafür hasste sie ihn umso mehr. Fast so sehr wie sich selbst.
»Ich kannte Paul Wheeler«, sagte die Rothaarige gerade. »Wir waren vor ein paar Jahren zusammen in einem Komitee. Er war ein echter Gentleman.«
»Ja, das war er wirklich.«
»Mein Beileid.« Die Frau lächelte sie freundlich an. »Danke.«
Derek reichte Julie den Stift zurück. Sie packte ihn fest. Er war noch warm. »Der Stift wird nicht mehr aus der Hand gegeben«, ermahnte er sie lächelnd. »Ich hätte dieses Bild wirklich gern in meinem Zimmer.«
»Die Gebote können jederzeit erhöht werden.«
»Ich werde sie jedenfalls genau im Auge behalten.« Er und die Rothaarige entschuldigten sich und schlenderten dann weiter.
Julie war noch nicht wieder zu Atem gekommen, als Doug an ihre Seite trat. »Woher kennst du Derek Mitchell?« Sie stellte sich dumm. »Wen?«
»Den Mann, mit dem du gerade gesprochen hast. Der Anwalt.«
Julie sah Derek und der Rothaarigen nach. »Das ist Derek Mitchell? Eigentlich kenne ich ihn gar nicht.«
»Ihr habt
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