Sündige Rache
schob sich zentimeterweise vorwärts und hatte die Schranke gerade hinter sich gelassen, als mit einem Mal wildes Geschrei zu hören war.
Sie hörte die Rufe aus der oberen Etage, wo Lewis vom Haftrichter vernommen werden sollte, rannte die Treppe hinauf und bahnte sich unter Einsatz ihrer beiden Ellenbogen einen Weg durch die Gruppe von Anwälten und Zeugen, die bereits dort versammelt war.
Lewis lag auf dem Boden. Sein Gesicht war grau, und von seinen Augen war nur noch das Weiß zu sehen.
»Er ist einfach plötzlich umgefallen«, plapperte jemand aufgeregt. »Wie ein gefällter Baum. Ruf doch endlich jemand die Sanitäter. Ruft doch endlich einen Arzt.«
Fluchend stürzte sie auf Lewis zu und ging neben ihm in die Hocke.
»Treten Sie bitte zurück, Ma'am.«
Sie hob den Kopf und blickte den uniformierten Beamten an. »Lieutenant Eve Dallas. Ich bin zuständig für diesen Mann.«
»Tut mir leid, Lieutenant. Ich habe bereits den Arzt verständigt.«
»Er atmet nicht.« Sie schwang sich rittlings auf Lewis' breiten Brustkorb, riss sein Hemd auf und fing umgehend mit einer Herzmassage an. »Schaffen Sie die Leute fort. Sperren Sie den Bereich großräumig ab -«
»Absperren -«
»Absperren«, wiederholte sie und fing, obwohl sie wusste, dass es sinnlos wäre, mit Mund-zu-Mund-Beatmung an.
Sie ließ nicht eher von Lewis ab, als bis die Sanitäter kamen und erklärten, sie könnten nichts mehr für ihn tun. Zornig wandte sie sich dem für ihn zuständigen Sicherheitsbeamten zu. »Erstatten Sie Bericht. Ich will wissen, was, nachdem Sie ihn aus seiner Zelle geholt haben, bis zu seinem Zusammenbruch passiert ist. Lassen Sie ja nichts aus!«
»Nichts Besonderes, Madam, es war alles vollkommen normal.« Der Beamte war verärgert, weil ihm jemand Vorwürfe zu machen schien, nur, weil das Herz von irgendeinem Schlägertypen ohne jede Vorwarnung stehen geblieben war. »Wir haben ihm vorschriftsmäßig Hand- und Fußfesseln angelegt und ihn dann hierher ins Gerichtsgebäude transportiert.«
»Wer ist wir?«
»Mein Partner und ich. Wir hatten Befehl, jeden Kontakt zwischen ihm und den drei anderen Typen, die Haftprüfungstermine hatten, zu vermeiden. Also haben wir ihn isoliert und etwas später als die anderen hierher gebracht.«
»Sie haben die Treppe benutzt und nicht den gesicherten Fahrstuhl?«
»Ja, Madam.« Er zuckte leicht zusammen. »Der Fahrstuhl hat nicht funktioniert, deshalb sind wir gelaufen. Er hat uns keine Schwierigkeiten gemacht. Sein Anwalt war hier und hat uns gebeten, eine Minute zu warten, während er über sein Handy mit einem anderen Mandanten sprach. Wir standen direkt daneben, als der Mann plötzlich angefangen hat zu schwanken und dann einfach umgefallen ist. Er hat nach Luft gerungen, und während mein Partner sich um ihn gekümmert hat, habe ich versucht, die Leute von hier fern zu halten. Kurz danach sind Sie gekommen.«
»Zu welchem Revier gehören Sie?« Sie warf einen schnellen Blick auf sein Namensschild. »Officer Harmon.«
»Madam, ich bin in der Sicherheitsabteilung des Hauptreviers.«
»Hat sich irgendwer dem Mann genähert oder Kontakt zu ihm aufgenommen, bevor er umgefallen ist?«
»Niemand, Madam. Mein Partner und ich hatten ihn vorschriftsmäßig in der Mitte.«
»Wollen Sie mir allen Ernstes erzählen, niemand wäre diesem Typen nahe gekommen, bevor er zusammengebrochen ist?«
»Nein. Das heißt, natürlich sind wir vorschriftsmäßig durch die Sicherheitskontrolle gegangen. Dort haben ein paar Leute angestanden und andere sind herumgelaufen. Aber niemand hat mit dem Mann gesprochen oder Körperkontakt mit ihm gehabt. Allerdings hat jemand meinen Partner angehalten und nach dem Weg zum Zivilgericht gefragt.«
»Der Typ, der nach dem Weg gefragt hat – wie nahe ist er dem Mann gekommen?«
»Es war eine Sie, Madam. Es war eine Frau. Sie wirkte ziemlich unglücklich und gramgebeugt, als wir an ihr vorbeigegangen sind.«
»Haben Sie sich die Frau wenigstens angesehen, Harmon?«
»Ja, Madam. Zirka Anfang zwanzig, blond, blaue Augen, heller Teint. Sie hatte geweint, Madam, und schluchzte immer noch, hat aber gleichzeitig versucht, sich nichts anmerken zu lassen, wenn Sie wissen, was ich damit sagen will. Sie war sichtbar unglücklich, und als sie ihre Handtasche fallen gelassen und dabei einen Teil des Inhalts auf dem Fußboden verstreut hat, hat sich ihr Schluchzen noch verstärkt.«
»Ich wette, Sie und Ihr Partner haben ihr dabei geholfen, die Sachen wieder
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