Sündige Seide: Roman (German Edition)
zu vernehmen.«
Sie holte tief und schnell Luft und schauderte unwillkürlich.
»Das ist lächerlich.«
»Nicht, wenn man bedenkt, was Sie verloren hätten, wenn er wahr gemacht hätte, was er mit Ihrem Geschäft vorhatte.«
»Es wäre nie soweit gekommen.«
»Vielleicht wollten Sie ganz sichergehen, daß es nicht soweit kommt.«
Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar und zwang sich zur Ruhe.
»Mr. Cassidy, wie ich Ihnen bereits gesagt habe, bin ich Reverend Wilde nie begegnet. Es gab keinen Schriftwechsel zwischen uns. Wir haben auch nicht miteinander telefoniert, mich haben lediglich Angestellte seiner Organisation angerufen und zu einer öffentlichen Diskussion mit ihm aufgefordert, was ich allerdings immer wieder abgelehnt habe. Ich hatte nichts mit ihm zu tun. Und ich habe ihn ganz bestimmt nicht umgebracht.«
»Er war eine Bedrohung für Ihr Unternehmen.«
»Er war ein verblendeter Fanatiker«, widersprach sie wütend. Langsam verlor sie die Fassung. »Glauben Sie im Ernst, daß er das Playboy-Imperium zu Fall gebracht hätte?«
»Ihr Unternehmen ist viel kleiner.«
»Und wenn schon.«
»Außerdem sitzen Sie hier in New Orleans. Vielleicht haben Sie die Gelegenheit genutzt, daß ihn sein Kreuzzug hierhergeführt hat, um ihn endgültig zum Schweigen zu bringen.«
Sie verschränkte selbstbewußt die Arme vor dem Bauch. »Das wäre doch ziemlich kurzsichtig, nicht wahr? Sie mögen mich für fähig halten, einen Mord zu begehen, Mr. Cassidy, aber bitte unterschätzen Sie nie meine Intelligenz.«
»Nein«, antwortete er leise, wobei er ihr tief in die braunen Augen sah. »Das tue ich bestimmt nicht.«
Er starrte sie ein paar Herzschläge zu lange an, denn sein anklagender Blick wurde weicher und verriet schließlich Interesse. Cassidy wurde das ausgesprochen unangenehm. Schließlich brach sie den Blickkontakt. »Offensichtlich haben Sie keine Beweise, die mich mit diesem Verbrechen in Verbindung bringen.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Weil es keine gibt. Ich war nicht dort.« Sie hob den Kopf. »Sie sind hergekommen, weil Sie sich an jeden Strohhalm klammern. Sie müssen irgend etwas vorweisen. Der Mord ist inzwischen zweiundsiebzig Stunden her, ohne daß Sie oder die Polizei einen Verdächtigen verhaftet hätten. Die Witwe wirft den Behörden vor, faul, inkompetent und gleichgültig zu sein. Sie beziehen Prügel von den Medien, und Wildes Gefolgschaft verlangt ein schnelles und hartes Urteil. Kurz gesagt, Mr. Cassidy, Sie brauchen einen Sündenbock.« Sie holte Luft. »Ich kann mich in Ihre Lage versetzen, aber mein Verständnis geht nicht so weit, daß ich mich beleidigen und meine Privatsphäre verletzen lasse. Bitte gehen Sie jetzt.«
Cassidy beeindruckte, wie knapp und präzise sie die Sache auf den Punkt gebracht hatte. Tatsächlich machte Crowder die heikle Situation nach dem Mord an Wilde langsam nervös. Die Presseberichte über die polizeilichen Ermittlungen wurden mit jedem Artikel kritischer und sarkastischer.
Ariel Wilde und die Anhänger des dahingegangenen Predigers kritisierten zunehmend lautstark alle vom ehrwürdigen Bürgermeister abwärts bis zum letzten Straßenpolizisten. Die Witwe
wollte Wildes Leichnam nach Tennessee überführen lassen, um ihn dort zu beerdigen, aber die Polizei gab die Leiche noch nicht frei, weil man hoffte, trotz Elvie Dupuis’ gründlicher Autopsie irgendeinen zuvor übersehenen Hinweis zu entdekken. Die Sache war, wie Crowder prophezeit hatte, in eine Schlammschlacht und einen Affenzirkus ausgeartet.
Claire Laurent hatte in jeder Hinsicht recht. Cassidy hatte tatsächlich nichts in der Hand, um zu beweisen, daß sie oder irgend jemand sonst am Tatort gewesen war. Andererseits hatte er, seit er diesen Raum betreten hatte, das Gefühl, daß sie etwas verheimlichte. Sie war außergewöhnlich höflich, aber sein Instinkt sagte ihm, daß sie ihn loswerden wollte.
Als er noch Anwalt gewesen war, hatte ihm derselbe Instinkt verraten, ob sein Klient allen Unschuldsbeteuerungen zum Trotz schuldig war. Es war der sechste Sinn, der ihm sagte, wann ein Zeuge log. Dieser Instinkt hatte ihn nur selten getäuscht. Er vertraute ihm und verließ sich darauf.
Er wußte, daß mehr in Claire Laurent steckte als auf den ersten Blick ersichtlich. Wenn die Augen die Fenster zur Seele sein sollten, dann hatte sie die Fensterläden zugeklappt. Nur gelegentlich erhaschte er einen Blick auf die Frau dahinter. Sie war mehr als nur eine clevere Geschäftsfrau und
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