Sündiges Geheimnis: Roman (German Edition)
Verführung empfohlen wurde, man solle niederknien und ihm oder ihr Tribut zollen? Miranda hatte stets gedacht, das sei ein symbolischer Rat, die Schönheit der Natur oder dergleichen zu würdigen. Nichts Körperliches jedenfalls.
In ihrer Fantasie stellte sie sich den Viscount vor, der lüstern zu ihr herabblickte. So wie der Mann auf der Miniatur in dem Buch seine Gespielin ansah. Sich allein die heiße Glut in diesen dunklen Augen vorzustellen und noch mehr …
Rastlos sprang sie aus dem Bett, stolperte über den fadenscheinigen Teppich und konnte nur mit Mühe einen Sturz verhindern, indem sie sich an ihrem Toilettentisch aus zerkratztem Eichenholz festhielt. Sie lachte nervös. Immerhin tauchte kein Dämon aus Fleisch und Blut über ihr auf.
Sie schlüpfte in ihre Pantoffeln und den schweren, reizlosen Schlafrock, der einst ihrem Vater gehört hatte. Dass es ein unförmiges und – nun ja – hässliches Kleidungsstück war, hatte sie bisher nie gestört. Es wärmte sie in den kalten Londoner Nächten, und nur darauf kam es an.
Bis sie diese Bilder von Frauen in dem Buch gesehen hatte, die durchsichtige, in der Mitte geöffnete Gewänder trugen und buhlerisch die Arme nach ihrem Opfer ausstreckten.
Ihre rissigen, tintenfleckigen Finger strichen plötzlich unwillig über den rauen Wollstoff, hätten sie am liebsten davon befreit, statt den Gürtel zuzubinden. O Gott, was geschah mit ihr?
Sie eilte nach unten in die Küche, um sich eine Tasse Tee mit heißer Milch zu gönnen. Vielleicht konnte sie anschließend endlich schlafen. Sie sah Licht unter der geschlossenen Bürotür weiter vorne in dem schmalen Korridor. Offenbar war ihr Onkel immer noch wach.
Sie musste mit ihm reden, wollte wissen, ob er tatsächlich seine Zustimmung zu dieser Bibliothekskatalogisierung gegeben hatte oder ob dieser Vorschlag gar von ihm selbst stammte.
Bisher hatte sich keine Gelegenheit geboten, weil er am Abend zu einer Versammlung einiger Kaufleute gegangen war. Sollte sie ihn jetzt noch aufsuchen? Vielleicht hatte er es sich ja inzwischen anders überlegt und würde es nicht gutheißen, wenn sie morgen zu Lord Downing ging.
Wünschte sie sich das?
Langsam näherte sie sich der Bürotür, blieb davor stehen und hörte einen Federkiel kratzen. Sie musste nur anklopfen und ein paar Worte mit ihrem Onkel wechseln. Möglicherweise würde er erklären, er habe beschlossen, statt ihrer Peter in die Bibliothek des Viscount zu schicken. Und wenn nicht, könnte sie ihn darauf hinweisen, dass es für eine junge Dame höchst unschicklich sei, im Haus eines Junggesellen einen derartigen Auftrag zu übernehmen. Ihr lieber, zerstreuter alter Onkel hatte sich sicherlich nichts dabei gedacht.
Aber sie bewegte sich nicht weiter, stand einfach da, während sie den Lichtstreifen unter der Tür anstarrte. Sie erkannte mit einem Mal, dass die Entscheidung bei ihr lag. Ihr Onkel würde nämlich gar nicht auf die Idee kommen, daran etwas unschicklich zu finden. Sonst hätte er gleich Peter für diese Aufgabe gewählt. In seinen Augen war das eine rein geschäftliche Vereinbarung: Sie katalogisierte die Bibliothek und wurde dafür bezahlt.
Sie betrachtete ihre rissigen Fingerkuppen. Warum aber war es in ihren Augen nicht in Ordnung? Warum bildete sie sich ein, dass mehr dahintersteckte? Es erschreckte sie, wie sehr sie sich von diesem Mann hatte vereinnahmen lassen. Ahnungslos, welches Spiel er mit ihr trieb. In welch einen perversen Bann hatte Downing sie gezogen? Wollte er sie in einen weiblichen Malvolio verwandeln und sie zwingen, kreuzweise geschnürte gelbe Strumpfbänder zu tragen wie diese tragisch-komische Figur aus Shakespeares Was ihr wollt ? Weil er das irgendwie erregend fand?
Ihre Gedanken glitten ab. Wie wäre es, seine Hände warm auf ihren Strümpfen zu spüren? Sie erschauerte, nicht nur wegen der nächtlichen Kälte, die unter den Saum ihres hässlichen alten Nachthemds kroch wie Eisfinger, die ihre Beine streichelten. Miranda wich einen Schritt zurück. Und noch einen. Am nächsten Morgen war immer noch Zeit, eine Entscheidung zu treffen.
Auf dem Weg zur Küchentür des stattlichen Gebäudes biss sie sich unschlüssig auf die Unterlippe. Nach wie vor war sie nicht sicher, ob sie das Richtige tat. Im Gemüsegarten entdeckte sie die junge Magd vom Vortag, die sie vor einem Sturz bewahrt hatte.
»Ah, Sie sind die junge Frau aus der Buchhandlung«, rief das Mädchen ihr entgegen.
»Ja.« Miranda blieb stehen und sah ihr
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