Sündiges Geheimnis: Roman (German Edition)
sich näher zu ihr. »Niemand ist gern allein. Das behaupten die Leute zwar, doch es stimmt nicht.«
»Ich versichere Ihnen, dass ich vollauf zufrieden bin, wenn ich ohne Hilfe arbeite.«
»Zufriedenheit und Glück sind zweierlei.«
»Für mich nicht.«
Sein Blick wurde intensiver. »Deshalb streben Sie eine Veränderung an.«
Bei diesen Worten stockte ihr der Atem – Ähnliches sagte Georgette immer zu ihr, wenn sie sie zu mehr Wagemut auffordern wollte. »Vielleicht sollten Sie eine meiner Freundinnen kennenlernen, die mit größtem Vergnügen bereit wäre, sich zu ändern.«
»Nein, meine Wahl ist auf Sie gefallen.«
Krampfhaft schluckte Miranda, um den Kloß aus ihrer Kehle zu bekommen. Wie sollte sie diesen eindringlichen Augen entrinnen? »Verzeihen Sie die unverblümte Frage, Euer Lordschaft. Haben Sie um diese Tageszeit nichts anderes zu tun?«
Und wo waren um Himmels willen die zahllosen Dienstboten? Sonst standen sie doch immer irgendwo parat, um auf den kleinsten Wink zur Stelle zu sein. Aber jetzt nichts. Nichts zu sehen, nichts zu hören.
»Meine Liebe, ich finde Ihre direkte Art wirklich erfrischend. Trotzdem kann ich Sie natürlich hier nicht alleine lassen.«
Verständnislos starrte sie ihn an. Gehörte sie nicht zu seinen Angestellten, die diskret im Hintergrund bleiben mussten? Oft genug hatte sie in Herrschaftshäusern Bücher abgeliefert und bei diesen Gelegenheiten gelernt, weder gesehen noch gehört zu werden.
»Sie brauchen meine Hilfe, Miss Chase.«
»Nein.«
»Doch.«
Lässig rutschte er von der Armlehne in den Sessel – wie ein Dorfjunge in einen Heuhaufen, schoss es ihr durch den Kopf – und griff nach ihrer Hand. Warme Finger strichen über den fliederfarbenen Handschuh, glitten in ihn hinein. Verstört hielt Miranda den Atem an, als er sich zu ihr beugte.
Hätte sie diese Szene vorausgesehen, wäre sie so klug gewesen, die beiden Sessel rechtzeitig auseinanderzuschieben, dachte sie noch, als er sie schon zu sich heranzog. Sie ließ es geschehen – unfähig, der Lockung zu widerstehen, der Magie in seinen dunklen Augen. Nutzte er eine geheimnisvolle Macht, sie willenlos zu machen, wie sie das von den Sirenen der griechischen Mythologie kannte?
Lächelnd übte er seinen Zauber noch eine Zeit lang aus, ehe er sich in seinem Sessel zurücklehnte, ihre Hand freigab und den Blick senkte. »Die Äneis . Also planen Sie eine alphabetische Anordnung?«
Erst jetzt merkte sie, dass er ihr den Band aus der Hand genommen hatte. »Nein, ja – das heißt …« Als er wortlos die Brauen hob, entriss sie ihm das Buch wieder. »Sie versuchen mich zu ködern.«
»Ködern?«
»Ja!« Miranda drückte die Äneis an ihre Brust. »Hören Sie auf damit!«
»Keine Ahnung, wovon Sie reden.«
»Von Sirenen.«
»Ich glaube, Sie haben das falsche Werk gewählt«, bemerkte er und neigte sich zur anderen Seite. Mit einer gezielten Geste schleuderte er etwa zwanzig Bücher von einem Stapel, die auch den nächsten zum Einsturz brachten, sodass sich ein wilder Haufen teilweise aufgeblätterter Bücher am Boden sammelte.
»Mylord!« Miranda erhob sich halb aus ihrem Sessel.
Er ignorierte ihren Schreckensruf, stieß noch ein Buch von dem Stapel und griff nach einem anderen, reichte es ihr.
Mechanisch nahm sie es entgegen. »Die Odyssee ?«
Er klopfte auf den Einband, der in ihrer Hand vibrierte. »Sirenen.«
»Machen Sie das mit allen Leuten so?«
»Was? Meinen Sie, dass ich ihnen Bücher gebe?«, fragte er leichthin, doch trotz seiner gelassenen Pose spürte sie eine deutliche innere Anspannung. Wie ein Weidenbaum vor dem nächsten Windstoß, dachte sie unwillkürlich.
»Versuchen Sie die Menschen zu verführen?«
Unerwartet entspannte er sich bei dieser Antwort. Eine seltsame Reaktion auf eine unverhohlene Herausforderung. »Also glauben Sie, ich will Sie verführen?«
Lächerlich. Wie könnte er? Ein einflussreicher, attraktiver Viscount und sie, ein fast mittelloses, unscheinbares Ladenmädchen. Trotzdem verriet irgendetwas in der Tiefe ihres Herzens ihr die Wahrheit. Ja, genau das wollte er. Und dieses Wissen übte sogar eine noch stärkere Wirkung auf sie aus als das unanständige Buch, das er ihr geschenkt und das sie in ihrem Schrank versteckt hatte.
»Ja«, sagte sie schlicht.
Downing ließ ein Raubtierlächeln sehen. »Aber Miranda! Ich bin schockiert.«
»Wohl kaum, Mylord. Ich glaube vielmehr, Sie amüsieren sich.«
»Allerdings.«
Seine Stimme verriet eine gewisse
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