Sündiges Geheimnis: Roman (German Edition)
und es juckte Miranda in den Fingern, die goldenen Meridiane nachzuzeichnen.
Eine persönliche Nuance. Nur für mich. Wie konnte er das wissen? Wir waren doch erst heute Morgen in Lady Bannings Haus.
» Ich bin lediglich hier, um zu arbeiten«, erwiderte sie leise.
Zweifelnd schaute Galina sie an, während sie einen Schrank öffnete. Darin hing neben dem Kleid, das sie anprobiert hatte, ein Traum aus hauchdünnem, fast transparentem Stoff in den Meeresfarben Grün und Blau, die schimmernd ineinanderzufließen schienen. Weiße Ornamente symbolisierten schäumende Wellen. Entzückt streckte Miranda eine Hand aus, um den zarten Stoff zu berühren, und zog sie sofort wieder zurück.
»Das ist Ihr Kleid, Miss Chase.«
»Meines?« Das sollte sie tragen? Vorsichtig strich Miranda über das wellenförmige Muster. »Wie wunderschön …«
»Ja, Miss Chase«, bestätigte Galina, obwohl ihr Ton nach wie vor etwas abweisend war. Miranda wusste nicht, wieso. Weil sie in den Augen der Zofe auf der falschen Seite stand?
»Danke für Ihre Hilfe, Galina. Hier fühle ich mich irgendwie völlig fehl am Platze.«
Die Augen des Mädchens verengten sich. »Kommen Sie, fangen wir an«, sagte sie, und Mirandas Verwirrung wuchs. Was ging hier vor?
Eine ältere Frau trat ein, die eindeutig in der Personalhierarchie weiter oben rangierte als die beiden anderen. Zu dritt kleideten sie Miranda bis auf die Unterwäsche und Handschuhe aus und forderten sie auf, sich an den Toilettentisch zu setzen, wo sie lebhaft über den Stil der Frisur zu streiten begannen.
Hinter Miranda hielt das jüngere Mädchen ihr Haar an einer Seite hoch. »So hat Lady Jersey ihr Haar am Berkeley Square getragen.«
»Tagsüber«, wandte die ältere Frau ein. »Wir brauchen eine Abendfrisur.«
»Aber Lady J…«
» Lady Jersey ist alt«, fiel Galina dem Mädchen bissig ins Wort, »während Caroline Lamb, die mit Lord Byron …«
»Hüte deine Zunge«, zischte die Ältere.
»Jedenfalls hält sie sich stets an die neueste Mode, und ihre kunstvollen Frisuren …« Galina seufzte sehnsüchtig.
Davon wollte ihre Kontrahentin nichts wissen. »Ich bevorzuge den klassischen Stil.«
»Und ich sage, die Frisur muss das Kleid unterstreichen«, hielt Galina kampflustig dagegen.
Die Augen weit aufgerissen, schaute die Jüngste zwischen den beiden hin und her. »Galina, normalerweise ist es dir doch egal, was …«
»Lady Lambs Stil passt zu ihr«, betonte Galina, »eine Mischung aus Unschuld und Reife. Dann kann sie sich aussuchen, wie sie wirken will.« Beschwörend suchte sie Mirandas Blick im Spiegel. »Mich würde es interessieren, wie sie damit aussieht.«
»Sicher sieht Miss Chase mit jeder Haartracht sehr schön aus«, meinte die Ältere diplomatisch.
Miranda rutschte nervös auf dem Stuhl herum. Mrs. Fritz, die Untermieterin, hatte ihr gelegentlich mit ein paar Nadeln die Haare hochgesteckt und Georgette ebenso eifrig wie ungeschickt einige Frisuren an ihr ausprobiert: Als schön hätte sie keine davon bezeichnet. Akzeptabel oder ganz nett vielleicht. Was mochten die hier mit ihr vorhaben? Zweifellos verfügten die beiden über Erfahrung mit so etwas.
»Sei nicht schwierig, Galina«, mahnte die ältere Frau. »Und da ich auf dieser Etage das Kommando führe …«
»Machen Sie, was Sie wollen.« Galinas Gesicht wurde wieder ausdruckslos.
Energisch nickte die andere und begann Mirandas Haar auf klassische Art hochzustecken. Einzelne Strähnchen hingen herab und umschmeichelten das Gesicht. Erfreut betrachtete Miranda ihr Spiegelbild und fühlte sich hübsch. Und wenn sie dann noch das Kleid trug, das im Schrank hing …
Die Frau rieb sich zufrieden die Hände. »Obwohl wir uns nicht beeilen müssen, sollten wir Miss Chase schon jetzt ankleiden und sehen, ob etwas geändert werden muss.«
Noch immer missmutig brachte Galina seidene Unterwäsche, Handschuhe, Strümpfe und sonstiges Zubehör herbei. Miranda griff als Erstes nach den neuen Handschuhen und legte sie in ihren Schoß, bevor sie den fadenscheinigen Stoff der alten von ihren Händen streifte. Obwohl Galina genau hinschaute, verbarg sie die Spuren ihrer Arbeit nicht. Die Flecken von der Tinte, die Schrunden und Risse vom Halten der Feder. Offen erwiderte sie den unergründlichen Blick der jungen Zofe. Wahrscheinlich waren deren Hände unter den Handschuhen ebenfalls abgearbeitet. Zeigte die Haut Spuren von Wasser und Seife? Von Nähnadeln? Oder waren die Hände butterweich, weil sie schmerzende
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