Sündiges Geheimnis: Roman (German Edition)
Sekunden lang hörte sie nur ihren eigenen Herzschlag und das Rauschen ihres Blutes in den Ohren, bevor er fortfuhr: »Oder Artemis, die unschuldige Göttin der Jagd. Und ich wäre dann der arme Jäger Aktaion, der sie beim Bad in einem Fluss überrascht und bitter dafür büßen muss.«
Nachdem er seine eigene Maske aufgesetzt hatte, führte er sie aus dem Haus zu der dunklen Kutsche. Wenn sie noch Beklemmungen empfand, so überwand sie diese schnell durch sein heiteres Geplauder. Sie berührte ihre Maske. An diesem Abend konnte sie sein, wer sie wollte – jemand, der nichts und niemanden fürchtete, vielleicht ein Mädchen mit magischen Kräften und auf der Suche nach Abenteuern.
Als die Kutsche hielt, half er ihr selbst beim Aussteigen. Noch bevor sie den Eingang passierten, hörte sie fröhliches Stimmengewirr. Ihr stockte der Atem: Das Eingangstor leuchtete, als sei es mit Elfenstaub besprüht worden, und wie Myriaden von Sternen funkelten überall Lämpchen.
Noch nie hatte sie den Vergnügungspark durch dieses Portal betreten, denn das war den Reichen und Vornehmen vorbehalten. Grandiose Lüster säumten den Hauptweg, der an Brunnen und Pavillons, Torbögen und Tempeln vorbeiführte.
Das gemeine Volk benutzte schlichte Nebeneingänge, doch niemand hinderte die einfachen Leute daran, hierherzukommen, um hinter Büschen und Hecken die Ankunft der Privilegierten zu beobachten, bevor sie sich in ihre Logen begaben. Es war für sie eine der wenigen Gelegenheiten, einen Blick auf diese für sie sonst nicht zugängige Welt zu werfen. Und natürlich bezogen hier auch die Zeitungsreporter Position, denn Vauxhall Gardens war einer der ergiebigsten Umschlagplätze für Klatschgeschichten aller Art. Die Gentlemen tauchten hier eher selten in Begleitung ihrer braven Ehefrauen auf. Und sofern sie nicht eine Mätresse dabeihatten, war Vauxhall ein ideales Jagdgebiet.
Im Gegensatz zu Georgette hatte Miranda keinen Gefallen daran gefunden, sich unter die Gaffer zu mischen, und erst recht nicht aus diesem Grund den Vergnügungspark besucht. Wenn sie gemeinsam hier waren, wandte sie sich lieber diskret ab. Ihren Eltern, beide hochgebildet, war eine gute Erziehung sehr wichtig gewesen, und insbesondere die Mutter hatte dafür gesorgt, dass ihre Tochter sich wie eine perfekte Dame zu benehmen wusste. Und obwohl sie von der Herkunft keine Lady sein mochte, von ihrem Benehmen her war sie eine.
Trotzdem fand sie jetzt, dass es eine Schande war, diese faszinierende Promenade noch nicht gesehen zu haben. Sie war einfach atemberaubend, ein glitzerndes Juwel, das die Besucher in ein verführerisches Licht tauchte. Überwältigt drückte Miranda den Arm ihres Begleiters, als sie durch einen Torbogen gingen und sich plötzlich inmitten einer ausgelassenen Menschenmenge befanden. Hier hatte ebenfalls nur Zutritt, wer zur Gesellschaft zählte. Lakaien schirmten ihre Herrschaften ab, und schaffte es jemand, hier einzudringen, bekam er einen Tritt verpasst oder wurde sogar von einem Wachmann aufgegriffen.
Natürlich galt das nicht für die Mätressen und zeitweiligen Gespielinnen der Gentlemen. Die promenierten ungeniert am Arm ihres Gönners oder trafen in den vornehmen Etablissements sogar auf Debütantinnen mit ihren Müttern und Gentlemen auf Brautschau. Anders als auf den Londoner Gesellschaften war in Vauxhall vieles möglich. Sogar Frauen, die verzweifelt einen gesellschaftlichen Aufstieg ersehnten, stellten hier ihre Reize zur Schau und wurden mit Glück an die Tische ausgelassen zechender Jungen gerufen, die sich erst noch die Hörner abstoßen mussten.
Während Downing sich mit seiner Begleiterin einen Weg durch das Gewühl bahnte, riefen manche ihm Grußworte zu, während diskretere Leute nur nickten. Alle aber bedachten Miranda mit neugierigen Blicken.
Schnell geleitete er sie in eine reservierte Loge, wo auf einem luxuriös gedeckten Tisch Körbe mit frischen Früchten, Platten voller Schinkenscheiben, Biskuits und Kuchen bereitstanden sowie ein Krug mit dem berauschenden Punsch, für den Vauxhall berühmt war. Sobald sie Platz genommen hatten, verschwanden die Kellner in den Schatten, hielten sich aber, wie sie beobachten konnte, auf Abruf bereit.
Schon trat einer, der ihren Blick wohl missverstanden hatte, heran, um nach ihren Wünschen zu fragen. Hastig schüttelte sie den Kopf. O Gott, was machte sie hier bloß? Sie sollte sich da draußen beim einfachen Volk amüsieren. Oder daheim im Bett liegen unter ihren
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