Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sueß, naiv und intrigant

Sueß, naiv und intrigant

Titel: Sueß, naiv und intrigant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecily von Ziegesar
Vom Netzwerk:
meinte sie lächelnd.
    Julian biss erneut kräftig in seinen grünen Apfel und sein Blick streifte bewundernd die hohe, schräge Decke und die riesigen Fenster. Dann blieben seine Augen auf ihr ruhen und er sah sie fragend an. »Sag mal, bin ich wirklich passend angezogen? Ich weiß, du magst diese T-Shirts, aber...« Er trug das braunblonde Haar offen und hatte ein langärmeliges Buttondown-Hemd unter einem engen Raconteurs-Tournee-T-Shirt an und dazu eine schwarze Anzughose mit Aufschlägen. »Ich meine, du siehst echt hübsch aus. Als sollte dich jemand zeichnen.«
    Jenny hoffte, nicht knallrot anzulaufen. Sie war überraschend nervös gewesen, als sie sich angezogen hatte. Schließlich hatte sie sich für ihren schokoladebraunen Free-People-Rollkragenpulli mit den Puffärmeln entschieden, der aus einem superweichen Material war, das im Licht wie Seide schimmerte. Dazu trug sie eine eng anliegende dunkle Jeans von Gap, die sie schon seit Ewigkeiten besaß. Also keineswegs was Besonderes, aber es war unheimlich süß von Julian, ihr ein Kompliment zu machen. Etwas Bare Escentuals Eye Glimmer in Fire Light hatte sie allerdings schon aufgelegt. »Ähm, danke. Und, klar, was du anhast, ist echt okay«, antwortete sie. Hoffentlich war sie nicht rot wie ein Hummer im Kochtopf geworden.
    »Cool.« Julian sprang auf das kleine Podium in der Mitte des Saals, wo die Schüler während des Unterrichts Modell saßen. Seine schweren Boots krachten laut gegen das Holz und jetzt ragte er noch höher über Jenny auf als sonst. »Soll ich hier stehen?«, fragte er grinsend.
    »Hm. Vielleicht.« Jenny rieb sich das Kinn mit den Daumen, wie immer, wenn sie über eine Bildidee nachdachte. Julian war so hochgewachsen und schlaksig, und sie fand, dass ihre Arbeit das irgendwie einfangen musste. »Probier es mal mit Hinsetzen.« Sie deutete auf den alten Plüschsessel, der kürzlich im Atelier aufgetaucht war. Der Theaterkurs hatte ihn der Kunstabteilung vermacht, und Mrs Silver hatte ihn sofort einkassiert, da sie immer auf der Suche nach Mobiliar war, das »die Fantasie anregte«. Der Sessel war etwas durchgesessen und der Flor an manchen Stellen ziemlich abgewetzt, aber noch war genug von dem königsblau gestreiften Samt übrig, dass das Möbel prunkvoll und anregend aussah, wie ein Thronsessel. Julian, König der...? Der besonders großen und umwerfenden Jungs?
    Julian ließ sich in den Sessel fallen, der mit ihm darin plötzlich mickrig wirkte. Julian reichten die Knie fast bis zur Brust hoch und Jenny kicherte los. Er hustete, räkelte sich, gähnte, streckte die langen Beine aus und sank an die Lehne zurück. »Ich hab das Gefühl, dass mich dieser Sessel bei lebendigem Leib auffrisst.«
    »Sitzt du bequem?«, fragte Jenny. Sie skizzierte schon eifrig. »Die Pose ist super. Sie fängt wunderbar ein, wie lang du bist.«
    Julian ruckte etwas in dem Sessel herum. Er sah aus wie ein Basketballspieler, der versuchte, es sich in einem Puppenhausmöbelstück bequem zu machen. »Geht so. Wenn ich nicht ewig hier sitzen bleiben muss.«
    »Ich beeil mich«, versprach Jenny, auch wenn sie es nett fand, mit Julian hier zu sein, und gar nicht so dringend in die Wirklichkeit zurückkehren wollte. Der Zeichensaal war ihr liebster Platz auf dem Campus und Julian lenkte sie von Easy ab. Und im Moment war das Letzte, an das sie denken wollte, Easy Walsh und die Tatsache, dass er es war, den sie zuletzt gezeichnet hatte. Und er wiederum hatte sie gemalt. Vielleicht bedeutete es das Todesurteil für eine Freundschaft, wenn man die betreffende Person malte – so als ob man Nadeln in eine Voodoopuppe steckte.
    Sie hielt mitten im Zeichnen inne. War es nur Einbildung von ihr, dass da zwischen ihr und Julian etwas ablief? Wie tausendprozentig sicher war sie sich gewesen, dass etwas zwischen ihr und Easy ablief, etwas von Bedeutung. Und dann war es ebenso schnell, wie es begonnen hatte, auf einmal vorbei gewesen. Sie war traurig, Easy verloren zu haben, aber noch trauriger war sie darüber, dass sie die Dinge total falsch beurteilt hatte. »Lieb ist nicht Liebe, die wechseln würd mit wechselvoller Stund und dem Vertreiber weicht, der sie vertrieb.« So oder so ähnlich hieß es bei Shakespeare und der verstand ja wohl einiges davon. Ein Teil von ihr hatte geglaubt, sie würde zerbrechen, wenn sie und Easy sich trennen würden – und nun war sie hier, nur ein paar Tage nach der verfluchten Samstagabend-Party, und fantasierte davon, mit einem anderen auf

Weitere Kostenlose Bücher