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Sueß, naiv und intrigant

Sueß, naiv und intrigant

Titel: Sueß, naiv und intrigant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecily von Ziegesar
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einer Insel gestrandet zu sein.
    Julian verschlang einen großen Teil seines Apfels mit einem Happs. »Hier drin war ich noch nie.« Sein Blick glitt erneut über die hohe schräge Decke und die riesigen Fensterwände.
    »Manchmal stelle ich mir vor, dass ich eine berühmte Künstlerin bin, und das hier ist mein Atelier in SoHo.« Jenny trat vom Zeichentisch zurück, um ihre Vorskizze zu betrachten. Sie hatte Julians Umrisse skizziert, wie er sowohl unbeholfen als auch elegant in dem Sessel kauerte. Die glatten Grafitlinien schienen zu ihrem Thema zu passen. Wenn sie jetzt in eine andere Technik wechselte, würde eindeutig etwas von der Unmittelbarkeit verloren gehen, die sie eingefangen zu haben glaubte. Der Entwurf drückte aus, dass sich die Szene ganz plötzlich wieder auflösen könnte: Julian könnte aufstehen, sich strecken und davongehen. Das Spontane der Bleistiftzeichnung passte gut zu ihm.
    Julian sah Jenny direkt an, was ihr einen kleinen Stromstoß versetzte, wie morgens, wenn sie in Eile war und nur rasch einen Schluck Espresso hinunterstürzte. »Nur dass man in SoHo keine Bäume draußen sieht.«
    Sie machte sich daran, Julians abfallende Schultern einzufangen, die entspannte Haltung seines Körpers, die sich so von seiner fast uneinfangbaren Energie unterschied. »He, es gibt schon Bäume in New York.«
    »Ach, wirklich?« Er reckte ihr das Kinn zu. »Fünf vielleicht.«
    »Jemals was vom Central Park gehört?«, fragte Jenny ungläubig und versuchte, nicht breit zu grinsen. Ihr Bleistift flog über das Papier. »Da stehen schlappe dreihundertfünfzig Hektar Bäume rum.«
    Julian gluckste amüsiert und schüttelte den Kopf. »Reg dich nicht auf. Ich mag halt Städte mit viiiiel Grün.«
    »Fängst du jetzt an, auf New York rumzuhacken? Ich glaube nämlich nicht, dass ich jemanden zeichnen kann, der noch nicht kapiert hat, dass es die tollste Stadt auf unserem Planeten ist.« Jenny hielt inne und streckte ihm drohend den Bleistift entgegen. »Das würde mir bestimmt gegen den Strich gehen.«
    »Okay, okay, ich hab meiner Mutter schon so gut wie verraten, dass mein Porträt für die Ahnengalerie gerade in der Mache ist. Also sollte ich mir das lieber nicht vermasseln.«
    »Wie könnte ich eine Mutter enttäuschen?«, seufzte Jenny theatralisch und zeichnete weiter. War es nicht umwerfend, dass er seiner Mutter davon erzählt hatte? »Du hast wirklich tolle Gesichtszüge«, meinte sie dann. Das musste sie einfach loswerden, denn es stimmte. Nachdem sie die Umrisse skizziert hatte, konnte sich Jenny endlich auf den Teil konzentrieren, den sie bislang vermieden hatte anzustarren: Julians Gesicht. »Sehr ausdrucksvoll.«
    »Den Mädchen gefällt mein gebrochenes Nasenbein«, erklärte er ein wenig verlegen. »Sie denken, ich sei tough.«
    Jenny blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Und, stimmt das?«
    »Kommt auf die Definition an.«
    »Ich glaube, tough sein meint...« Sie nahm den Bleistift vom Papier, um nachzudenken, und spürte, wie er sie forschend ansah. »Es meint, dass man keine Angst hat, sich mal lächerlich zu machen.«
    »Dann bin ich Rambo und der Terminator in einem.« Julian lachte. »Ich bin bekannt dafür, mich mehr als einmal lächerlich gemacht zu haben, und ich hab jedes Mal einen Mordsspaß dabei.« Er hatte ein tolles albernes Lachen, bei dem er den Mund so weit aufriss, dass man praktisch nachschauen konnte, ob er die Mandeln rausgenommen hatte. Schnell trennte Jenny das oberste Blatt von ihrem Block und fing eine neue Skizze an. Sie musste dieses Lachen zeichnen – wie es seinen ganzen Körper vor Energie, vor Vergnügen, vor purer Freude darüber schüttelte, am rechten Ort zur rechten Zeit zu sein. Das alles konnte Jenny seiner Körpersprache ansehen, und sie war wild entschlossen, es aufs Papier zu bannen. Sie dachte an die Aufgabe, die ihnen Mrs Silver gestellt hatte. Ihre Arbeit sollte etwas von der Persönlichkeit des Modells preisgeben. Sie wollte, dass jeder das Porträt von Julian ansah und dachte: Ja, ganz genau so ist dieser Junge.
    »Hör mal, würde es dir was ausmachen, wenn ich dich zeichne, wie du lachst?«, fragte sie zaghaft. Und dann schob sie rasch nach: »Du musst natürlich nicht die ganze Zeit lachen – aber wenn du es immer mal wieder tun könntest, das wäre genial!«
    »Erst willst du, dass ich mich in den Sessel vom kleinsten der sieben Zwerge quetsche, und jetzt soll ich auch noch lachen?« Julian starrte sie ungläubig an, wenn auch ziemlich

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