Suess und ehrenvoll
ihr so nahe wie nie zuvor. Doch Friede war in einer anderen Welt, zerrissen von Trauer und Schmerz.
Jetzt mischte Ludwig sich in das Gespräch ein. »Es wird nicht lange dauern«, versuchte er, Friede zu trösten, »in ein paar Wochen oder Monaten ist der Krieg vorbei.« Und Karoline fügte hinzu: »Bis dahin kommt Friedrich gewiss öfter auf Urlaub, vielleicht sogar so lange, dass ihr eine richtige Hochzeit feiern könnt.«
Aber Friedrich kam nicht auf Urlaub.
Er sollte nie mehr zurückkommen.
Er war einer der Ersten, die in Belgien fielen.
7
F RANKFURT AM M AIN
— Sommer 1914 —
Die Strafpredigt seines Vaters und die Vorwürfe seiner Mutter überstand Ludwig unbeschadet. Er war jetzt ein richtiger Mann und bald würde er einberufen werden, da konnten ihn die elterlichen Standpauken nicht kümmern.
In Frankfurt herrschte Aufbruchstimmung. Jeder Tag brachte neue, aufregende Ereignisse. Ludwigs Freunde aus der Nachbarschaft und seine ehemaligen Klassenkameraden wurden einer nach dem anderen eingezogen. Er selbst machte sich zunehmend Sorgen. Hatte man ihn womöglich vergessen? Sollte er sich freiwillig melden? Wozu auf die Einberufung warten? Wenn er als Freiwilliger eingezogen wurde, konnte niemand mehr an seiner Vaterlandsliebe zweifeln!
Auch zu Hause drehten sich alle Gespräche um den Krieg. Es gab kaum ein anderes Thema. Sein Vater brachte jeden Tag Artikel und Reden prominenter jüdischer Persönlichkeiten aus dem Krankenhaus mit. Ludwig interessierte sich schon deswegen dafür, weil er in der Überzeugung bestätigt werden wollte, dass nicht nur er, sondern alle deutschen Juden von glühendem Patriotismus erfüllt waren. Es war ihm wichtig, dass diese Dinge in der Öffentlichkeit gesagt und in der Presse abgedruckt wurden. Alle Deutschen sollten wissen, dass die Juden treu zu ihrem Vaterland und Kaiser standen, dass sie ein integraler Bestandteil des Volkes waren. Und es fehlte in der Tat nicht an Reden, Stellungnahmen und Artikeln, die Ludwig zufrieden zur Kenntnis nahm.
Nicht nur die Publikationen der jüdischen Gemeinden waren voll davon, auch bekannte Blätter wie die »Frankfurter Zeitung« und das »Berliner Tageblatt« zitierten die Führer der jüdischen Gemeinden. In der Wochenzeitschrift »Im deutschen Reich«, dem offiziellen Presseorgan des »Central-Vereins« der deutschen Juden, erschien gleich nach der Kriegserklärung an Russland und Frankreich ein Leitartikel, den Dr.Kronheim seinem Sohn voller Begeisterung zeigte. Darin schrieb der Vorsitzende des Central-Vereins, Eugen Fuchs, dass Deutschland nur seine Kultur verteidige, wenn es in den Krieg ziehe. Der Redakteur schmähte »die russische Bosheit«, »die französische Rachsucht«, »die englische List« und »die serbische Mordlust«.
Auf derselben Frontseite erschien in großen Lettern ein Aufruf des Central-Vereins an die deutschen Juden: »Wir rufen Euch auf, über das Maß der Pflicht hinaus Eure Kräfte dem Vaterland zu widmen! Eilet freiwillig zu den Fahnen! Ihr alle – Männer und Frauen – stellet Euch durch persönliche Hilfeleistung jeder Art und durch Hergabe von Geld und Gut in den Dienst des Vaterlandes!« Fuchs betonte, er sei durch und durch Deutscher, und wiederholte seine Angriffe auf die Feinde Deutschlands in einem Leitartikel der Wochenzeitung des Central-Vereins, bei denen er auch die »gelben japanischen Straßenräuber« nicht zu erwähnen vergaß.
Diese Äußerungen wurden in den lokalen und überregionalen Presseorganen, in Kommentaren und Leserbriefen mit Befriedigung registriert. Zitiert wurde auch Leo Baeck, ein Rabbiner und aufsteigender Stern am Himmel des deutschen Judentums, der bislang als überzeugter Pazifist und Gegner des Militärs galt. Er hatte Anfang August in der liberalen Synagoge in Berlin-Charlottenburg in einer viel beachteten Predigt erklärt, dass »die schweren Tage uns alle haben empfinden lassen, wie das Leben des Vaterlandes unser Leben ist und wie das Gewissen des Volkes in dem unseren widerklingt«. Er werde als Feldrabbiner seinen Dienst leisten, hatte er angekündigt.
Niemand mochte zurückstehen: Walther Rathenau und die Brüder Felix und Victor Klemperer, Persönlichkeiten des Geisteslebens, die sich bisher durch ihre gemäßigte Haltung hervorgetan hatten, darunter bekannte Pazifisten wie Martin Buber, Stefan Zweig, Emil Ludwig, Arnold Zweig und Nahum Goldmann, übertrafen sich schier mit patriotischen Publikationen und setzten für diesen Zweck ihr gesamtes
Weitere Kostenlose Bücher