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Suess und ehrenvoll

Suess und ehrenvoll

Titel: Suess und ehrenvoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Avi Primor
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überhaupt noch tun. Ich möchte dir nicht wehtun, aber ich muss dir sagen, wie man in meinen Kreisen über die Juden redet: Juden sehen so und so aus, ein Jude denkt so und so, er benimmt sich auf die und die Art. Kurz, man bekommt die alten Vorurteile zu hören. Nichts hat sich geändert. Altruistisches Verhalten sei Juden fremd, heißt es, und das gelte für den Umgang mit anderen Menschen und auch im Zusammenhang mit gemeinsamen Zielen und Idealen. Ist dir nie aufgefallen, wie die Leute Juden ansehen? Sie sind nicht fähig und willens, in einem Juden ein Geschöpf wie jedes andere zu sehen, das nach Gottes Ebenbild erschaffen wurde. Nein, für sie ist der Jude nur ein Feind oder allenfalls ein unheimliches fremdes Wesen.«
    »Karoline«, rief Ludwig entsetzt, »was redest du? Was für eine düstere Stimmung hat dich erfasst? Das klingt ja nach Mittelalter! Diese Vorurteile existieren nicht mehr. An der Peripherie mag es noch Spuren davon geben, doch auch sie verschwinden allmählich. Und in der Armee spüre ich sie gar nicht. Die Kameradschaft…«
    »Wenn du nur recht hättest«, seufzte Karoline. »Ich befürchte das Gegenteil. Der Antisemitismus wird auch vor der Armee nicht haltmachen. Der ›Alldeutsche Verband‹…«
    »Lassen wir das, Karoline«, sagte Ludwig sanft. »Bist du nicht allmählich müde und hungrig? Es wird schon Abend. Komm, lass uns nach Hause gehen.«
    »Nein, wir gehen nicht nach Hause. Wir gehen woanders hin, und danach habe ich noch eine Überraschung für dich.« Ihre Stimme klang jetzt gelöster. Es tat ihr leid, ihm die gute Laune verdorben zu haben. ›Der Arme‹, dachte sie bei sich, ›er hat nur zwei Wochen Urlaub, und die muss ich ihm auch noch vermiesen.‹
    Inzwischen waren sie unter Karolines Führung in der Kaiserhofstraße im Stadtzentrum angelangt. Ohne auf Ludwigs Fragen einzugehen, führte ihn Karoline durch die Einfahrt eines unscheinbaren Wohnhauses zu einem Hinterhaus, das wie eine billige Kopie des Vorderhauses aussah. Dort stieg sie die Treppe zum obersten Stockwerk hinauf, während Ludwig ihr neugierig und befangen folgte. Karoline holte einen Schlüssel unter einem Blumentopf hervor und öffnete die Tür. Sie standen in einer kleinen, bescheiden möblierten Wohnung. »Das ist unser Zuhause, bis dein Urlaub zu Ende ist«, sagte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
    »Wem gehört diese Wohnung?«, fragte Ludwig erstaunt und gab sich die Antwort gleich selbst: »Friede?«
    »Stimmt genau. Sie braucht manchmal etwas Abstand von ihren Eltern. Und seit ihr Verlobter gefallen ist, kommt sie oft wochenlang her…«
    Als Ludwig diese Geschichte hörte, konnte er sich nicht recht darüber freuen. Im Gegenteil. Ihm war zunehmend unbehaglich zumute. Was sollte das alles? Was war im Hause Schulzendorf geschehen? Wie kam es, dass Friede, die mit Karoline von Kindesbeinen an befreundet war und seit vielen Jahren zur Familie zu gehören schien, eine Wohnung kaufen musste, um sich mit ihrer besten Freundin treffen zu können? Doch er schwieg, weil er spürte, dass Karoline keine Geduld für heikle Fragen hatte.
    »Ich möchte aber auch deine Eltern besuchen«, sagte er schließlich. Es wäre doch unhöflich, wenn er sich nicht bei ihnen sehen ließe. »Schließlich haben mich deine Eltern immer gut aufgenommen. Gestern habe ich bei euch übernachtet undsie nicht einmal begrüßt. Vielleicht gehen wir jetzt zu dir, um das nachzuholen?«
    »Nicht jetzt«, wehrte Karoline ab, »nicht gleich zu Anfang unseres Wiedersehens nach so langer Trennung.«
    Doch dann nahm sie ihren Mut zusammen und sagte Ludwig die Wahrheit. Gleich nachdem er eingezogen worden war, hatten ihre Eltern begonnen, sie sanft, aber beharrlich unter Druck zu setzen. Sie versuchten, ihr klarzumachen, dass ihre Beziehung zu Ludwig keine Zukunft habe. Sie solle sich nach einem jungen Mann umsehen, den sie eines Tages heiraten könne – »jemand aus unseren Kreisen, mit ähnlichem Hintergrund, der dir eine solide Basis bieten kann«. Die Anspielung hätte nicht deutlicher sein können. Die Freundschaft mit einem Juden wurde geduldet, doch das war auch alles. Ludwigs Einberufung war in den Augen der Eltern eine willkommene Gelegenheit, ihn auf elegante Weise loszuwerden. Als Karoline sich hartnäckig weigerte, auf Ludwig zu verzichten, wurde die Stimmung in der Familie immer gespannter. »Deshalb habe ich dich auch gebeten, deine Briefe postlagernd zu schicken«, schloss Karoline ihren Bericht.
    Ludwig war

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