Suess und ehrenvoll
Heimweg in die Kaiserhofstraße summten sie Walzermelodien und legten ab und zu ein Tänzchen ein, das unweigerlich mit einem langen Kuss endete.
13
Als sie am nächsten Tag in enger Umarmung aufwachten, fiel Karoline ein, dass sie nichts eingekauft hatte. Es gab nur ein paar Getränke und Zwieback. »Heute ist Sonntag, alle Geschäfte sind geschlossen«, sagte sie.
»Wir können doch bei meinen Eltern frühstücken«, schlug Ludwig vor.
In der Königsteiner Straße war Mutter Selma mit Vorbereitungen für das Festessen beschäftigt, das die Kronheims zu Ehren ihres Sohnes geben wollten.
»Wann soll es denn stattfinden?«, fragte Ludwig.
»Übermorgen Abend. Hier ist die Gästeliste, die dein Vater zusammengestellt hat.« Ludwig überflog die Namen. Er kannte fast keinen der Eingeladenen, und auch seine Mutter kannte sie nur zum Teil. Die Auswahl, die der Vater getroffen hatte, kam offenbar seinen gesellschaftlichen Erwägungen und Bedürfnissen entgegen. Ludwig sollte das Vorzeigeobjekt sein. Das Prunkstück des Abends.
»Übrigens soll ich dich von Adalbert grüßen«, sagte die Mutter. »Er ist dann doch lieber zu seiner Familie gegangen.«
»Das tut mir leid«, sagte Ludwig, aber das war gelogen. In Wirklichkeit hatte er den Kameraden völlig vergessen und schämte sich jetzt ein bisschen dafür.
Während sie noch redeten, kam der Vater nach Hause. Dr.Kronheim begrüßte seinen Sohn kühl, doch Karoline mit ungewohnter Liebenswürdigkeit. Die Schulzendorfs waren schließlich eine angesehene Familie, die dem Vater auch gesellschaftlich wichtig war. Dass seine Freundlichkeit nicht als Billigung ihrer Beziehung ausgelegt werden konnte, war sowohl Ludwig als auch Karoline klar. Als der Vater seinem Sohn einen zweiten Blick gönnte, rief er tadelnd: »Wo ist denn dein Schnurrbart? Damit sahst du viel männlicher aus!« Er musterte Ludwig mit enttäuschter Miene und zwirbelte seine schneidigen wilhelminischen Schnurrbartspitzen. »Warum hast du ihn abrasiert? Nun ja«, fügte er in strengem Ton hinzu, »du wirst ja hoffentlich in Uniform erscheinen.«
»Versteht sich«, sagte Ludwig, »und natürlich mit Eisernem Kreuz.«
Er ging zum Telefon, das im Flur an der Wand hing, und rief ohne vorherige Ankündigung und in Hörweite aller Anwesenden Karolines Eltern an. Die Mutter nahm den Hörer ab. Als Ludwig sich meldete, gab sie ihrem Mann einen Wink, das Gespräch am zweiten Hörer zu verfolgen. Ludwig bemühte sich, Herzlichkeit in seine Stimme zu legen, entschuldigte sich, weil er die Schulzendorfs noch nicht begrüßt hatte, und bat um Erlaubnis, ihnen am nächsten Tag in den Nachmittagsstunden »seine Aufwartung machen zu dürfen«. Und bevor Karolines Eltern, die überraschte Blicke wechselten, etwas einwenden konnten, kam er ihnen zuvor: »Ich bin jetzt zu Hause. Meine Eltern geben übermorgen ein Abendessen anlässlich meines Urlaubs und würden Sie gern dazu einladen. Ich gebe das Gespräch an meinen Vater weiter.«
Der verblüffte Vater nahm den Hörer, räusperte sich, begrüßte Karolines Mutter mit übertriebener Höflichkeit und gab seiner Hoffnung Ausdruck, das Ehepaar Schulzendorf in seinem Haus begrüßen zu dürfen. Karolines Vater bedeutete seiner Frau mit einem ergebenen Schulterzucken, die Einladung anzunehmen. Nachdem sie zugesagt hatten, nahm Ludwig seinem Vater den Hörer aus der Hand, was sich dieser erleichtert gefallen ließ, und rief in die Muschel: »Darf ich Sie also morgen Nachmittag um vier aufsuchen?«
»Äh, ja – ja, natürlich«, sagte Frau Schulzendorf verwirrt.
Ludwig lächelte Karoline zu, die diese unerwartete Szene stumm und verlegen verfolgt hatte. Ihre starre Miene heiterte sich aber nicht auf, und auch Ludwigs Lächeln wirkte recht angestrengt. Er wusste, dass ihm eine harte Prüfung bevorstand, aber nachdem er die Sache einmal in Gang gebracht hatte, konnte er nicht mehr zurück.
Für den Besuch in der Schumannstraße zog Ludwig seine Uniform an und vergaß natürlich auch das Eiserne Kreuz nicht. Auf dem Weg zu den Schulzendorfs machten sie alle möglichen Umwege, als wollten sie noch in letzter Minute davonlaufen. Sogar einen Besuch im Zoologischen Garten hielt Karoline plötzlich für unumgänglich. Vor sich selbst rechtfertigten sie diese Verzögerung mit dem Argument, dass sie sich über alle Fragen aussprechen müssten, die von Karolines Eltern gestellt werden könnten. Sie gingen Arm in Arm zwischen den Käfigen und Freianlagen herum, als ob sie sich
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