Suess und ehrenvoll
Schulzendorfs merkten, dass die jungen Leute gemeinsam in Karolines Zimmer übernachtet hatten, verließen sie das Haus und schlugen die Tür hinter sich zu. Karoline fand einen entrüsteten Brief vor, in dem es hieß, sie wollten ihren »Freund« nicht mehr bei sich sehen, weder bei Tage noch bei Nacht. Wenn ihr das nicht genehm sei, schrieben die Eltern, könne sie sich eine andere Bleibe suchen.
Ludwig wusste auch nicht, dass Karoline aus dem Haus geschlichen war, als er noch geschlafen hatte. Nachdem sie den Brief ihrer Eltern entdeckt hatte, war sie zur Post gegangen und hatte ihrer Freundin Friede ein Telegramm nach Berlin geschickt.
»Nimm deinen Rucksack mit«, sagte Karoline zu Ludwig, als sie das Haus verließen.
»Wozu? Da sind ein paar Sachen drin, die ich hier brauche, mein Waschzeug und der Rasierapparat und Socken zum Wechseln und…«
»Das reicht sowieso nicht«, sagte Karoline, »bei deinen Eltern helfe ich dir, alles Nötige zusammenzupacken.« Damit warf siesein Wasch- und Rasierzeug in den Rucksack und nahm ihn selbst auf die Schulter.
Das Mittagessen im Hause Kronheim wurde in fröhlicher Stimmung eingenommen. Mutter Selma strahlte vor Glück. Am Tage zuvor war ihr geliebter einziger Sohn nach langer Abwesenheit endlich heimgekehrt, nach Monaten, in denen sie Tag für Tag um ihn gebangt hatte – und kaum angekommen, verschwand er schon wieder. Doch nun war er da, entspannt und unbeschwert. Sogar der hässliche Schnurrbart, der sie im ersten Moment erschreckt hatte, war verschwunden. Und diese Karoline war wirklich ein reizendes Geschöpf. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was aus der Romanze zwischen den beiden jungen Leuten werden sollte. Einstweilen schloss sie Karoline mit echter Herzlichkeit in die Arme. Sie war nicht nur ein Mädchen nach ihrem Herzen (wenn auch ein bisschen zu klein geraten), sie machte auch ihren Ludwig so glücklich!
Auch Adalbert saß gut gelaunt am Tisch. Er hatte am Abend zuvor und am Vormittag seine Familie besucht. Es war schön, ein paar Stunden bei ihr zu verbringen, doch es war auch gut, nicht zu lange dort zu bleiben. Etwas Distanz zu der ärmlichen, düsteren Atmosphäre seines Elternhauses würde ihm nicht schaden. Und Ludwigs Mutter kümmerte sich um ihn wie um einen eigenen Sohn.
Tatsächlich hatte Selma wie versprochen Kartoffelpuffer und Pfannkuchen und dazu noch Würstchen und Kartoffelsalat vorbereitet. Dazu gab es ein gutes Bier. Ludwigs Vater kam gewöhnlich nicht zum Mittagessen nach Hause. Selma richtete Ludwig in seinem Auftrag aus, er schätze es gar nicht, dass Ludwig auf Urlaub gekommen, aber gleich wieder verschwunden und die ganze Nacht nicht nach Hause gekommen sei.
»Daran wird er sich gewöhnen müssen«, sagte Ludwig trocken, »ich bin kein Pennäler mehr, der noch bei seinen Eltern wohnt.«
»Das stimmt schon«, sagte Selma, »aber du könntest ihm ruhig etwas mehr entgegenkommen. Er ist schließlich dein Vater!«
»Was meinst du damit?«
»Zum Beispiel würde dein Vater sich freuen, wenn wir ein festliches Abendessen zu deinen Ehren geben könnten.«
»Natürlich … Ich soll in Uniform mit Eisernem Kreuz vor seinen Freunden paradieren. Also gut, ich mache mit, wenn Karoline und Adalbert auch eingeladen werden.«
Am Nachmittag und Abend durchstreiften Ludwig und Karoline Arm in Arm die Stadt. Sie gingen durch den Anlagenring und kehrten dann durch die »Freßgass« zur Oper zurück. Im Gehen erzählten sie sich, was sie im vergangenen Jahr erlebt hatten. Vieles davon wussten sie schon, weil sie unentwegt miteinander korrespondiert hatten, doch es gab immer noch viel zu fragen und zu ergänzen.
Karoline beschäftigte besonders eine Frage, die sie in ihren Briefen nie zu stellen gewagt hatte: »Wie kommen Soldaten so lange Zeit ohne Frauen aus?«
»Man muss sich eben beherrschen«, erwiderte Ludwig leichthin, um von dem Thema abzulenken.
Doch Karoline gab sich damit nicht zufrieden: »Ich habe gehört, dass die Soldaten öfters zu Huren gehen. Angeblich arrangiert die Armee sogar die Bordellbesuche für sie. Das ist doch bei Männern ein natürliches Bedürfnis, oder nicht?«, fragte sie mit einem tiefen Blick in Ludwigs blaue Augen, als wolle sie sagen, dass er in dieser Hinsicht wohl auch nicht besser sei als andere Männer.
»Nein«, versicherte Ludwig, als errate er ihre unausgesprochenen Zweifel, »für mich kommt das nicht infrage. Mich widert so etwas an, und zwar nicht nur deinetwegen. Sicher übermannt mich
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