Suess und ehrenvoll
oft das Verlangen nach dir, aber auch wenn ich dich nicht hätte, würde ich nicht zu einer Prostituierten gehen. Mich ekelt der Gedanke, dass eine Frau für Geld mit mir schläft.«
Ein schwierigeres Thema war Ludwigs Einstellung zur Armee und zum Krieg. »Bist du immer noch so ein begeisterter Patriot wie zu Anfang des Krieges?«, fragte ihn Karoline. »Siehst du im Krieg immer noch etwas Erhabenes? Glaubst du noch an unsere gerechte Sache?«
»Natürlich glaube ich an unsere gerechte Sache!«, fiel Ludwig ihr mit erhobener Stimme ins Wort.
Karoline sah ihn nur forschend an.
»Der Krieg hat nichts mit dem zu tun, was ich mir als Kind ausgemalt habe. In meinen schlimmsten Träumen habe ich mir diese Gräuel, dieses Leiden und diese Scheußlichkeiten nicht vorstellen können. Ich hätte niemals geglaubt, dass ein Mensch solche physischen und psychischen Qualen ertragen kann. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir keine andere Wahl haben. Wir müssen durchhalten, und wir werden durchhalten. Und nicht nur das…« Er holte tief Luft. »Wir werden auch siegen!«
Karoline, die von Ludwigs Worten nicht recht überzeugt war, bohrte noch einmal nach. »Sag mal, Ludwig, hatte deine Kriegsbegeisterung nicht noch ein anderes Motiv?« Sie hielt inne und fuhr erst fort, als er sie fragend ansah: »Hast du in diesem Krieg nicht auch eine Chance für dich und alle anderen Juden gesehen?«
»Das stimmt nicht ganz«, unterbrach er sie, »ich habe nur geglaubt, dass unser Patriotismus und unsere Opferbereitschaft beweisen, dass wir echte Deutsche sind.«
»Glaubst du denn, dass dieses Ziel erreicht wurde?«, fragte Karoline.
»Ja«, erwiderte Ludwig entschieden, »davon bin ich fest überzeugt. Der Weg zum Sieg ist noch weit, viel weiter, als wir anfangs glaubten, doch schon jetzt ist eines klar: Das Deutschtum der Juden in diesem Land, ihre nationale Identität, kann nicht mehr in Zweifel gezogen werden.«
»Bist du dir sicher?«, fragte Karoline zweifelnd.
»Ich sehe doch, was an der Front passiert. Die Soldaten machen kaum noch antisemitische Bemerkungen, jedenfalls längst nicht mehr so viele wie vor dem Krieg im Zivilleben. Und man sieht schon hie und da jüdische Offiziere. Jedenfalls in den unteren Rängen.«
Mit einem sarkastischen Lächeln unterbrach ihn Karoline. »Als Reserveoffiziere!«
»Na und?«
»Ist doch klar: Sie sollen sich keine Illusionen machen. Reserveoffiziere können keine militärische Karriere machen.«
»Trotzdem ist es ein Durchbruch! Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte gibt es jüdische Offiziere! Juden, die Nichtjuden Befehle erteilen!«
Je begeisterter Ludwig redete, desto bedrückter wurde Karolines Miene. »Ach Ludwig«, sagte sie schließlich leise, »du hast dich gar nicht geändert. Gestern war ich so froh, dass du dich körperlich nicht verändert hast. Du bist unversehrt geblieben, was an sich schon ein Wunder ist. Doch auch seelisch und geistig hast du dich nicht geändert. Verzeih mir, Liebster, aber ich muss dir die Augen öffnen: In der ersten Phase des Krieges, zur Zeit der großen Euphorie, waren die judenfeindlichen Stimmen tatsächlich zum Teil verstummt, doch heute ist mir klar, dass es sich dabei nur um einen taktischen Rückzug handelte. Längst kriechen die Ratten wieder aus ihren Löchern. Je härter der Krieg wird, je schwerer das Leben an der Heimatfront ist, je weniger Nahrungsmittel und lebenswichtige Güter vorhanden sind, desto stärker wird der Antisemitismus. Du weißt vielleicht gar nicht, wie hier gehetzt wird. Seit Walther Rathenau das Amt für Rohstoffbeschaffung für die Armee führt und Albert Ballin die Lebensmittelimporte für die Bevölkerung organisiert, ist nur noch von ›jüdischen Schiebern‹ und ›Gaunern‹ die Rede.«
»Keiner kann ernsthaft glauben, dass die Versorgungsschwierigkeiten auch nur das Geringste mit den Juden zu tun haben!«, warf Ludwig ein. »Die britische Blockade…«
»Mir brauchst du das nicht zu erklären«, sagte Karoline ruhig. »Aber die Leute suchen nach Sündenböcken. Den Kaiser und die Oberste Heeresleitung darf man nicht kritisieren, da müssen eben mal wieder die Juden herhalten.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Ludwig.
»Hör zu, liebster Ludwig: Ich bin keine Jüdin und bewege mich kaum in jüdischen Kreisen. Du kennst meine Familie und meine Umwelt, das sogenannte progressive, liberale deutsche Bürgertum. In meiner Gegenwart nehmen diese Leute kein Blatt mehr vor den Mund, sofern sie das
Weitere Kostenlose Bücher