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Suess und ehrenvoll

Suess und ehrenvoll

Titel: Suess und ehrenvoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Avi Primor
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Urlaub gehe ich zu meinen Eltern zurück, und dann beginnt der eigentliche Kampf. Er wird nicht einmal davon erfahren.‹ Karoline rang sich ein Lächeln ab und umarmte ihn leidenschaftlich, als sei sie so glücklich wie er.
    Das Abendessen bei den Kronheims war wirklich so festlich, wie es die Eltern gehofft hatten. Mutter Selma setzte alles daran,dass die Bewirtung selbst das übertraf, was sie bei festlichen Anlässen in besseren Zeiten auf den Tisch gebracht hatte. Sie hatte ihre Freundinnen mobilisiert, um selten gewordene Lebensmittel und Zutaten aufzutreiben. Es gab Ochsenschwanzsuppe, kalten Braten mit Grüner Soße, Rehrücken mit Preiselbeeren, Rosenkohl und Kartoffelgratin, verschiedene Salate und Beilagen und zum Nachtisch Weincreme mit Mandelmakronen. Der ausgezogene Mahagonitisch war mit einer blütenweißen Damasttischdecke mit passenden, kunstvoll gefalteten Servietten, brennenden Kerzen und Blumengestecken geschmückt. Das Silberbesteck mit eingraviertem Monogramm glänzte um die Wette mit böhmischen Kristallgläsern, und zur Feier des Tages hatte Selma das Meißner Porzellan aus dem Büfett geholt. Zu trinken gab es pfälzischen Riesling und badischen Rotwein.
    Ludwig, der wie versprochen mit Uniform und Orden erschienen war, musterte mit amüsiertem Staunen die Aufmachung seines Vaters. Alle Gäste waren festlich gekleidet, die Männer im Gehrock, doch Dr.Kronheim trug einen Frack, ein Frackhemd mit Stehkragen und einer weißen Gardenie im Knopfloch, außerdem eine Weste, auf der eine schwere goldene Uhrkette glänzte. Ludwig hatte eine Armbanduhr wie andere junge Leute, doch sein Vater hätte auch im Alltag seine Taschenuhr niemals gegen einen so plebejischen Zeitmesser eingetauscht. Seine Schnurrbartspitzen hatte er mit Pomade so hochgezwirbelt, dass sie fast den Zwicker auf seiner Nase berührten. In der Hand hielt er eine ziselierte Silberdose mit Zigarren und Zigaretten, die er seinen Gästen anbot.
    Unter den Anwesenden, die Ludwig zum größten Teil nicht kannte, waren weder Verwandte noch jüdische Freunde. Diese Verwandten zu besuchen stand ihm also noch bevor. Dr.Kronheim hatte nur »Persönlichkeiten von Rang« eingeladen, die seine gesellschaftliche Position in der Stadt Frankfurt aufwerten konnten. Auf sie wollte er Eindruck machen und zeigen, dass die Familie Kronheim »dazugehörte«. Der Sohn, der als dekorierterKriegsheld von der Front heimgekehrt war, war der Beweis, dass Dr.Kronheim und seine Familie hinter keinem zurückstehen mussten.
    Ludwigs Vater entfaltete einen Charme, den seine Familie und Freunde nur genießen durften, wenn er sich in größerem Kreis produzierte. Mit Witzen und Anekdoten brillierte er nur vor Leuten, die er beeindrucken wollte. Das Ehepaar Schulzendorf und Karoline empfing er mit besonderer Liebenswürdigkeit. Ludwig fragte sich, ob sein Vater auf die »Eroberung« dieses Mädchens aus guter Familie ebenso stolz war wie auf sein Eisernes Kreuz. Karolines Eltern begrüßten ihrerseits Ludwig mit der gleichen Herzlichkeit, die sie bei seinem Besuch in ihrem Hause zur Schau getragen hatten.
    Die Konversation drehte sich natürlich um den Krieg. Abgesehen von den üblichen Fragen nach seinen Fronterfahrungen erkundigten sich die Gäste nach Ludwigs Prognosen für den weiteren Kriegsverlauf. Natürlich wollten sie hören, dass der Krieg trotz anfänglicher Rückschläge im Ganzen zufriedenstellend verlief. Der Sieg werde nicht mehr lange auf sich warten lassen, behaupteten einige würdige Herren, die Frage sei nur, wie man ihn am besten herbeiführe. Sie redeten sich die Köpfe heiß und überboten sich mit kühnen strategischen Vorschlägen.
    Jeder ließ seiner Fantasie freien Lauf: Der eine erstürmte Sankt Petersburg und warf nach dem Sieg über Russland die frei gewordenen Truppen an die Westfront. Der andere hatte Paris erobert und plante eine Invasion Englands. Der Dritte kesselte die Engländer in Belgien ein. Der Vierte versenkte die französische und englische Flotte. »Mit unseren U-Booten werden wir den Feind vernichten«, verkündete er voller Pathos.
    Ludwig trat mit geheucheltem Interesse auf ihn zu: »Sie haben gewiss in der Marine gedient, nicht wahr?«
    »Nein«, erwiderte der Gast kleinlaut, »ich bin wegen meines Gesundheitszustands leider nicht eingezogen worden. Doch ich habe mich eingehend mit Kriegsliteratur beschäftigt!«
    Nach dieser Bemerkung wandten sich die Gäste wieder Ludwig zu, den sie über ihren strategischen Diskussionen

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