Süß wie die Sünde: Roman (German Edition)
Marissa versetzte ihr einen Klaps auf die Hand.
»Wage es ja nicht. Selbst wenn Mr Dunwoody blind ist, sind mindestens drei andere annehmbare Gentlemen hier. Mich würde wundern, wenn sie dich nicht allesamt zum Tanz bitten. Mit Mutter habe ich schon gesprochen. Sie versprach, dass nach dem Theaterstück getanzt wird. Und jetzt halte still.«
Kritisch begutachtete Marissa ihr Werk. Zwar besaß Beth keine Garderobe in kräftigen Farben, hatte aber von ihrer letzten Saison in London dieses himmelblaue Kleid mitgebracht. Aus lauter Schüchternheit hatte sie es erst ein Mal getragen, dabei fand Marissa, dass sie wunderschön darin aussah.
Marissas Zofe hatte beinahe eine Stunde gebraucht, um Beths Locken zu weichen Wellen zu glätten, und eine Spur Kajal an ihrem Lidrand verlieh ihren braunen Augen etwas Geheimnisvolles.
Marissas Haar war zu einem schlichten Chignon aufgesteckt, weil zu viel Zeit für Beths Frisur benötigt worden war, aber das machte ihr nichts. Sie war schon von genug lästigen Männern geplagt.
»Bist du bereit?«, fragte Marissa.
»Nein«, murmelte Beth, als leise an die Tür geklopft wurde. Eine Zofe kam mit einem Brief herein. Marissa wurde unruhig, als sie ihn entgegennahm.
»Ist er von Jude?«
Marissa log, als sie den Brief öffnete. Sie wusste, dass er nicht von Jude war, durfte es Beth aber nicht sagen. Nickend zog sie sich mit dem Brief auf einen Sessel in der Ecke zurück und las.
Mr White gab nicht auf. Er wollte sie ein letztes Mal sehen und versuchen, sie von seinen lauteren Absichten zu überzeugen. Ein Treffen um zehn Uhr abends hinter den Stallungen. Als wäre sie so dumm! Er würde sie entführen oder noch eine Szene machen. Was aber täte er, wenn sie nicht erschien?
Zum Teufel mit dem Mann! Sie fühlte sich hilflos, außerstande, eine kluge Entscheidung zu treffen, und hilflos den Launen eines dreisten Schurken ausgeliefert.
Nachdem sie den Brief wieder zusammengefaltet hatte, schob sie ihn in die Schublade ihrer Frisierkommode. Sie würde gründlich nachdenken müssen. Aber zuerst einmal wollte sie, dass Beth ihr Jahr im Exil hinter sich ließ und sich amüsierte.
»Komm«, sagte sie mit einem betont strahlenden Lächeln. »Suchen wir dir einen Gentleman. Doch denk daran, was ich dir über Küsse gesagt habe. Ein netter Kuss ist gut und schön, doch du darfst nicht aufgeben, bevor du einen Kuss magnifique bekommst.«
»Skandalös, Marissa!«, flüsterte Beth, lächelte aber noch Minuten später, als sie in den Salon traten.
Ein sommersprossiger junger Herr namens Kenworth blickte zu ihnen herüber, und seine Augen verharrten eindeutig auf Beth, was diese indes nicht zu bemerken schien. Sie sah nur Mr Dunwoody, der mit Nanette sprach und sie nicht beachtete.
Marissa sah ebenfalls zu Nanette. »Oh, zum Teufel mit ihr«, sagte sie beim Anblick von Nanettes Kleid.
Nanette war in Beths Zimmer gewesen, als sie das Kleid für den Abend aussuchten, und war offenbar wild entschlossen, ihre Cousine auszustechen. Nanette war in leuchtendes Blau gekleidet und ihr Ausschnitt fast unanständig tief.
»Ist schon gut«, murmelte Beth. »Es war ein schlechter Plan. Ich kann es nicht mit Nanette aufnehmen. Es ist gewiss klüger, wenn ich abwarte, bis sie verheiratet ist, und erst dann versuche, einen Mann für mich zu gewinnen.«
Marissa stimmte ihr nicht zu. Sie wollte schreien, dass es nicht wahr war, dass Beth jeden heiraten konnte, den sie wollte. Dass sie beide heiraten durften, wen sie wollten.
Andererseits wäre ein solcher Ausbruch gänzlich unangebracht und sinnlos. Also nahm sie Beths Arm und führte sie zu einem Kanapee. »Die nächste Saison wird herrlich. Du wirst schon sehen.« Leider standen die Chancen recht gut, dass sie für Marissa zumindest nicht herrlich würde.
Das Theaterstück war so schlecht, dass Jude sich königlich amüsierte. Es handelte sich um eine Kurzfassung von Othello mit reichlich Geschrei, Gejammer und Zähneknirschen. Die Sterbeszene war so schrecklich übertrieben, dass sie schon wieder großartig wurde. Cousin Harry brüllte im Todeskampf, und die Dame, die seine Gemahlin gab, starb unter einem veritablen Schwall gequälter Seufzer.
Judes Mutter würde diese Leute lieben, und er hatte das Gefühl, dass Lady York eventuell dazu bewogen werden könnte, seine Mutter zu einem Besuch einzuladen. Einem heimlichen Besuch, verstand sich, aber nicht minder freundschaftlich.
»Bravo!«, rief Jude, als die Menge applaudierte. Er wollte gerade
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