Süß wie die Sünde: Roman (German Edition)
lassen.«
»Mit Ihrem Charme?«
»Natürlich.«
»Im Moment sehen Sie nicht sehr charmant aus.«
Er zuckte mit den Schultern und versuchte, weniger grimmig zu wirken.
»Nein, ich möchte mit ihm sprechen. Es ist zu früh, um sicher zu sein … Ich wollte noch nichts sagen, aber ich bin … mein Bauch fühlt sich recht … schmerzhaft an.«
»Morgendliche Übelkeit?«, fragte er, während etwa die Hälfte seines Blutes aus seinem Kopf in seinen Körper fließen zu schien.
»Nein, nicht das.«
»Oh«, meinte Jude, »ich verstehe.«
»In ein bis zwei Tagen werde ich es sicher sagen können, aber ich dachte mir, wenn ich es ihm erzähle, gibt er endlich auf.«
»Ah, ja, das ist klug. Er wird Sie in Ruhe lassen, wenn er erkennt, dass keine Hoffnung besteht.« Jude fragte sich, ob er sich selbst oder Peter White meinte. Aber das war lachhaft. Jude hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Kind oder kein Kind, Marissa begann, sich ihm zu öffnen. »Ich komme mit Ihnen. Es ist fast zehn Uhr.«
»Danke.« Statt seinen Arm zu nehmen, griff Marissa nach seiner Hand, und so gingen sie durch die Dunkelheit, jeder seinen Gedanken nachhängend.
Auf halbem Weg zu den Ställen brach Marissa das Schweigen. »Wie war es, im Haus Ihrer Mutter zu leben?«
»Nun, anfangs kannte ich ja nichts anderes. Es war ein Zuhause wie jedes andere, voller Bediensteter, Besucher und Gesellschaften. Es war ein fröhliches Haus, auch wenn es manchmal nicht ideal für ein Kind gewesen sein mochte. Meine Mutter schickte mich hin und wieder mit meinem Kindermädchen aufs Land, und ich war schrecklich einsam ohne sie. Sie ist eine warmherzige, witzige und vergnügte Frau.«
»Das klingt befremdlich vollkommen.«
»Ach, es kam schon gelegentlich zu Kämpfen mit Nachbarskindern, die mir abscheuliche Ausdrücke nachriefen, aber …« Er schüttelte die düsteren Erinnerungen ab. »Ich war glücklich und wurde geliebt.«
Er bemerkte ein Blitzen in ihren Augen, als sie ihn ansah. Ihre Hand drückte seine. »Wann wurden Sie zu Ihrem Vater geschickt? Sie wuchsen doch in seinem Haushalt auf, nicht wahr?«
»Ja.« Die Trennung lag schon sehr weit zurück, und dennoch schmerzte es, daran zu denken.
»Jude …«
»Es war nicht tragisch oder besonders dramatisch. Ich war drei Jahre alt, als er heiratete, und als ich acht war, hatte sich seine Familie so weit eingerichtet, dass er nach mir schickte. Meine Mutter konnte schlecht ablehnen. Er hatte mich von Anfang an anerkannt. Meine Mutter erinnerte mich jeden Tag daran, dass ich dankbar für seine Großherzigkeit sein sollte. Und wenn er mir das Leben eines Herzogs bieten wollte …«
»Was war mit der Herzogin?«
»Ach, die war so verständnisvoll, wie sie es unter den Umständen sein konnte. Nicht liebevoll, aber auch nicht grausam. Es half gewiss, dass ich geboren wurde, bevor sie einander kennen gelernt hatten. Und meine Halbbrüder behandelten mich wie einen älteren Cousin. Wir waren einander recht nahe. Fraglos hätte ich mit dem Arrangement überglücklich sein können, wäre das schreckliche Heimweh nicht gewesen.«
Marissa blieb stehen, drehte sich zu ihm und legte ihre Hand auf seine Wange. »Das tut mir leid. Ich mag mir gar nicht vorstellen, weggeschickt zu werden.«
»Nun ja, die meisten Jungen werden in dem Alter, oder sogar früher, ins Internat geschickt. Früher sogar.«
»Und auch sie leiden sicher darunter. Nicht zu vergessen, Ihre arme Mutter … Ich habe meine Brüder schrecklich vermisst, als sie in der Schule waren. Doch unsere Mutter muss furchtbar unglücklich gewesen sein.«
»Wir sind uns heute so nahe wie früher. Die Geschichte hat ein gutes Ende.«
»Das freut mich«, hauchte sie, und Jude konnte nicht umhin, sie zu küssen.
Ihre Lippen begegneten sich beinahe verzweifelt und mit einer Wildheit, die alle bisherigen Küsse bei Weitem übertraf. Es musste an dem bevorstehenden Ende dieser Scharade liegen. Denn sollte sie sich bald als unnötig herausstellen, gab es keine Entschuldigung mehr, einander zu berühren oder gar zu küssen.
Dabei sollte sie keine Rolle spielen. Jude war entschlossen, Marissas Liebe zu gewinnen, ob sie guter Hoffnung war oder nicht. Und das konnte er, schließlich empfand sie dieselbe Furcht vor einem Ende wie er. Denn wäre das anders, würden ihre Hände sich nicht an ihn klammern und sie würde ihn nicht küssen, als wollte sie ihn verschlingen, ehe es zu spät war.
Wäre Peter Whites baldiges Erscheinen nicht gewesen, hätte er gern
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